Beitrag aus dem Frankenhäuser Wochenblatt 2001
Frankenhäuser Persönlichkeiten, aber auch Frankenhisser Originale - eine Spurensuche
(geb. 1833 in Rudolstadt, gestorben am 12.10.1922 in Frankenhausen)
Es gibt zweifellos eine große Anzahl Bürger hier im Ort, die nach 1945 die Oberschule, salopp »Penne« genannt, in Bad Frankenhausen absolviert haben. Und kaum einer von ihnen dürfte das Chemie-»Kabüffchen« vergessen haben, in welchem ein beinrabendünner Akademiker agierte und die Schüler immer wieder ermahnte: »Seid ämal Ruhe jet! «. Aber keiner wollte ruhig sein: »Herr Dr., erzählen Sie bitte einen Witz!« - Wenn er sich dann sammelte, eine widerborstige schwarze Haarsträhne, die ihm immer wieder ins Gesicht fiel, zurückstrich, war die Chemiestunde gelaufen. Der Direktor musste sich oftmals wundern, wie lustig wohl Chemieunterricht gehalten werden konnte. Kurz gesagt, Dr. Fritz Graef, mit Spitznamen »Pit«, war ein sehr volkstümlicher Lehrer. Eine solche Eigenschaft war ihm anscheinend in die Wiege gelegt worden, denn er hatte einen gleichermaßen humorvollen wie ehrwürdigen Vorfahren…
Die Ämter, Titel, Ehrenbezeigungen für seinen Vater Dr. Ernst Graef ergeben eine lange Liste: Fürstlicher Geheimer Sanitätsrat, Praktizierender Arzt, Leitender Arzt im Bezirkskrankenhaus, Anstaltsarzt der Kinderheilstätten und nicht zuletzt Kreisphysikus und Forscher. Es gab wohl kaum einen Bereich des städtischen Lebens, in welchem sein Einfluss nicht spürbar gewesen wäre, dabei war er von Geburt kein »echter Frankenhisser«. Er wurde nämlich als Sohn des Generalsuperintendenten Graef 1833 in Rudolstadt geboren, der ihm natürlich eine höhere Schulbildung ermöglichte, an die sich ein Medizinstudium anschloss.
Im Jahre 1855 ließ er sich zunächst als junger Arzt in Schlotheim nieder, folgte dann aber 1869 einer Berufung zum Kreisphysikus nach Frankenhausen, wo er bis zu seinem Tode wirkte. Im Krieg gegen Frankreich nahm er 1870 als Chefarzt eines Feldlazaretts teil. Für seinen Einsatz dort wurde er mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Wie sehr ihm jedoch seine ärztliche Praxis in Frankenhausen ans Herz gewachsen war, lässt seine Absage gegenüber der Berliner Charité, an die er in den 80er Jahren des 19. Jh. berufen werden sollte, erkennen.
Bild: Regionalmuseum
Neben seiner mehr als häufig aufgesuchten ärztlichen Praxis, in welcher er gutbetuchte Bürger ebenso gründlich untersuchte wie die häufig zahlungsunfähigen ärmeren, war er von 1869 - 1904 leitender Arzt im Bezirkskrankenhaus. Mit der Einführung der ersten Kinderheilkuren im Jahre 1876 in Frankenhausen wurde er Chefarzt der Kinderheilanstalt an der Wipper, eine Tätigkeit, die ihm bestimmt ganz besonders viel Freude gemacht hat. Als Vorgesetzter des Vereins der Thüringer Hebammen des Kreises Frankenhausen galt seine Sorge dem Frankenhäuser Nachwuchs.
Es erstaunt, wie er bei solch einem Arbeitsumfang noch Zeit und Kraft für die medizinische Wissenschaft, deren stetigen Fortschritt er permanent verfolgte und für seine Weiterbildung nutzte, aufbringen konnte. Dies verhalf ihm aber zu der Fähigkeit, sichere Diagnosen zu stellen. Vielseitig interessiert, ließ er keinen Vortragsabend der Volkshochschule aus und brachte sich dank seiner geistigen Fähigkeiten in viele Bereiche des städtischen und auch überregionalen Lebens ein. Sein großes Wirkungsfeld brachte es mit sich, dass er ebenso Skurriles wie Grausiges erlebte.
So »operierte« er einen kleinen Frankenhäuser Erdenbürger, welcher sich in einer unbeaufsichtigten Minute einen Nachttopf mit Inhalt über seinen kleinen Dickkopf gestülpt hatte, durch einen kräftigen Griff und Ruck und übergab den schreienden Kleinen seiner glücklichen Mutter mit den Worten:
Sisſte, nunne häſte zun zweiten Mole 's Lit dr Wält erblit!
Er hatte sich in seinem Umgang mit den Frankenhäusern auch die Fähigkeit angeeignet, in ihrem Dialekt zu reden. Als Kreisphysikus musste er aber auch manchmal wie ein Gerichtsmediziner wirken, wie zum Beispiel, als er am 18. Februar des Jahres 1899 in das Haus des Landwirts Müller in Oldisleben gerufen wurde, wo dessen Knecht Paul Hoffmann seinen Dienstherren und seine beiden Kinder aus Raublust grausam ermordet hatte.
Aber nicht nur im sozialen Bereich finden wir ihn unermüdlich wirkend, mit seinem Humor und seinen musischen Talenten bereicherte er Kultur und Geselligkeit der Stadt. Er hatte Sinn für Poesie, Musik, Malerei und Plastik. Ja, er komponierte selbst, manche seiner von ihm vertonten Lieder wurden in der Neuen Musikzeitung veröffentlicht. Er besuchte jedes Konzert und musizierte gern auch selbst. Selbst im Turnverein war er aktiv und wurde dort im Jahre 1856 Ehrenmitglied.
Die Annalen berichten von zahlreichen Hinterlassenschaften in Form von humorvollen kleinen und größeren Gedichten (»Sommers Abschied« soll seine letzte poetische Arbeit gewesen sein), von Plastiken und Büsten, die er von Bürgern der Stadt (z. B. die Herren Lüttich, Winter, Sternberg) anfertigte. Leider ist mir nicht bekannt, wo diese abgeblieben sind.
Meinungen und Preeſtimmen beriten über Dr. Graef, da er in ſeiner potiven Originalität, in ſeiner Hilfsbereita gegenüber ärmeren Bürgern und dur ſein natürlies und beeidenes Auftreten großes Anſehen bei den Bürgern erwarb. Als Armenarzt und Mitglied des Städtien Armenrates ſete er für Sozialhilfen ein.
Seine Volkstümlichkeit, aber auch seine Bescheidenheit drücken sich darin aus,
da er jede Woe einmal im ›Hotel zum Mohren‹ einkehrte, wo er ungeſtört das politie Wibla ›Kladderadat‹ bei einem Snien Bier las. Als ſein fünfzigjähriges Doktorjubiläum erwartet wurde, weilte er einige Tage außerhalb der Stadt. An dieſem Jubiläumstag ging er jeder Ovation aus dem Wege. Anläli dieſes Jubiläumstages belo der Stadtrat in ſeiner Siung am 17. März 1905, Herrn Dr. Ernſt Graef das Ehrenbürgerret zu verleihen.
Abschrift der Urkunde
Bild: Regionalmuseum
Der Stadtrat
hat in ſeiner Siung am 17. März 1905 beloen, dem Fürſtlien Geheimen Sanitätsrat Herrn Doctor medicinae Ernſt Graef zu Frankenhauſen am Kyffhäuſer
in dankbarer Anerkennung ſeiner Verdienſte, die derſelbe in ſeiner langjährigen, ſegensreien Tätigkeit im Amt und Beruf, ſowie als Armenarzt und als Mitglied des ſtädtien Armenrates um unſere Stadt erworben hat, gemäß Artikel 25 und 85 der Neuen Gemeindeordnung vom 9. Juni 1876
das Ehrenbürgerret der Stadt Frankenhauſen am Kyffhäuſer
zu verleihen, worüber dieſe Urkunde unter dem Stadtegel und den verordneten Unterrien ausgefertigt wird.
Frankenhauſen am Kyffhäuſer, den ebenzehnten März eintauſend neunhundert und fünf.
Der Stadtrat.
gez. Sternberg gez. W. Karnſtedt gez. Th. Hoffmann
Erſter Zweiter Älteſtes
Bürgermeiſter Bürgermeiſter Stadtratsmitglied
- Siegel -
Die dankbaren Frankenhäuser stifteten ihrem Ehrenbürger eine Gedenktafel, welche noch heute am Haus der AOK in der Klosterstraße angebracht ist.
Literaturnachweis:
Kurzbiographie, zusammengestellt von Paul Haselhuhn, Stadtarchivar