Tabakanbau und Zigarrenherstellung
Wir Friedri Günther, von Goes Gnaden Fürſt zu Swarzburg ect., urkunden hiermit:
Mit der Ausstellung dieses Konzessionsscheines für den Zigarrenfabrikanten Johann Wilhelm Schliebitz am 14.April 1848 erhalten wir die erste offizielle Nachricht über die Gründung einer Zigarrenfabrik in Frankenhausen. Zwei Jahre später waren es bereits 3 Firmen, die sich mit der Herstellung von Rauch-, Schnupf- und Kautabak und Zigarren beschäftigten. Zumeist handelte es sich um kleinere Familienbetriebe mit nur wenigen weiteren Mitarbeitern. Die Familie Schliebitz, die seit 1860 eine zweite „Zigarrenfabrik“ betrieb, beschäftigte in einer der beiden Firmen im Durchschnitt 8 Zigarrenmacher. Zunächst überwog noch die Heimarbeit. Lagen genug Bestellungen vor, gab der Fabrikant das Fabrikationsmaterial an die Heimarbeiter aus und erhielt von ihnen das Fertigprodukt zurück.
Zigarrenfabriken
In den 50er und 60er Jahren des 19.Jahrhunderts wurden dann zwei Zigarrenfabriken gegründet, die in den kommenden Jahrzehnten diesen Fabrikationszweig in unserer Stadt zu einem recht bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickeln sollten. Das war zum einen die 1857 von dem Magdeburger Kaufmann Otto Rennau gegründete Zigarrenfabrik »Rennau & Co.«. In den Jahren zuvor hatte O. Rennau schon einen schwunghaften Handel mit in der Umgebung von Frankenhausen hergestellten Rohtabak betrieben. Zum anderen war dies die Zigarrenfabrik »Rabener & Becker«, die 1867 eingerichtet wurde.
Fürst gab erst nach neun Jahren seine Zustimmung
Durch die Gründung der beiden Firmen stieg auch die Zahl der Zigarrenmacher recht schnell. Um sich und ihre Familien sozial besser absichern zu können, schlossen sich diese zu einer »Zigarrenmacher-Krankenkasse« zusammen. Den ersten, 1858 bei der Landesregierung in Rudolstadt eingereichten Statutenentwurf unterzeichneten 16 Zigarrenmacher. Zunächst versagte aber die fürstliche Landesregierung ihre Zustimmung zur Errichtung einer Krankenkasse. Aus dem Briefwechsel zwischen dieser und dem amtierenden Bürgermeister Bärenklau wird der Grund dafür ersichtlich. Noch waren es zu wenige Zigarrenmacher, die Beiträge in die Kasse zahlen würden und damit deren Funktionieren gewährleisten könnten. Erst nach neun Jahren, am 14.September 1867 gab der Fürst dem erneut eingereichten Statutentwurf seine Zustimmung. Das Statut hatten 35 Zigarrenmacher unterschrieben. Zwar waren unter den Unterzeichnern keine Frauen, jedoch ist anzunehmen, dass auch sie der Krankenkasse frühzeitig beitraten. Da sie später die Mehrheit der in diesem Gewerbe Tätigen stellten, können für 1858 und 1867 die Zahl der insgesamt Beschäftigten als doppelt so hoch angenommen werden.
Auch der Anbau von Tabak scheint um 1857 bereits einen größeren Anteil an der landwirtschaftlichen Produktion eingenommen zu haben. In einer Stellungnahme des fürstlichen Landratsamtes in Frankenhausen über die weitere Ansiedlung von Zigarrenfabriken traf dasselbe folgende Einschätzung:
... wo der Tabaksbau jet mehr denn je betrieben zu werden pflegt und voraustli in Folge des aus dieſem landwirtalien Producte verhältnismäßig ho erzielten Gewinnes eine no weitere Ausdehnung erhalten wird.
Heimarbeit wurde zunehmends durch Fabrikarbeit abgelöst
Einen absoluten Höhepunkt im Tabaksanbau stellte das Jahr 1874 dar. In 11 Orten der 20682 Hektar umfassenden und rund 16.500 Einwohner zählenden Schwarzburg-Rudolstädtischen Unterherrschaft Frankenhausen wurde Tabak angebaut. Insgesamt bebauten 859 Tabakpflanzer eine Fläche von 224,32 ha und erzielten einen Ertrag von 9.231 Zentner Rohtabak. Allerdings bewirtschafteten nur 31 Pflanzer eine Fläche, die größer als 1 ha war. Vielfach erfolgte die Anpflanzung im Nebengewerbe. Zentren des Tabakanbaues waren Borxleben, Ringleben, Seehausen und seit den 70er Jahren auch Seega. Die oben genannten Zahlen wurden zwar in den folgenden Jahren kaum wieder erreicht, jedoch blieb der Tabakanbau auch weiterhin von Bedeutung in der heimischen Landwirtschaft.
In dieser Zeit begann auch der langsame Ausbau der einfachen Werkstätten zu kleineren Fabrikanlagen, die zwar einen gewissen Hinterhofcharakter behielten, aber nun mehr und mehr die Heim- durch die Fabrikarbeit ablösten. Bei einer im April 1886 durchgeführten Fabrikinspektion durch den Baurat Junot und den Sanitätsrat Dr. Ernst Graef notierten beide für die Firma »Rennau & Co.« 72 Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen und 18 Frauen in Hausarbeit und für die Fa. »Rabener & Becker« 58 Personen, die ausschließlich in der Fabrik arbeiteten. Für die anderen Fabriken liegen keine Zahlenangaben vor, sondern nur der Hinweis, dass die Belegschaften zum überwiegenden Teil aus Frauen und 14-16 jährigen Mädchen bestanden und diese meistens in den Fabriken arbeiteten.
Die 70er Jahre des 19.Jh. galten auch in der Frankenhäuser Zigarren- und Tabakindustrie als Gründerjahre. Zahlreiche Zigarrenarbeiter, aber auch Arbeiterinnen versuchten sich selbständig zu machen. Anlässlich der Gewerbezählung im Jahre 1880 wurden 7 Tabak- und Zigarrenfabriken registriert. Neben den großen Fabriken »Rennau & Co.« und »Rabener & Becker« gab es noch die Firmen »Ed. Andrä«, »Friedrich Dietrich«, »Theodor Kutzleb«, »Franziska Poppe« sowie »Wilhelm Probst«.
Bis zur Jahrhundertwende verringerte sich zwar die Zahl der Firmen wieder, jedoch blieb die Anzahl der Beschäftigten doch noch recht hoch. In Zahlen zusammengefaßt ergab sich folgendes Bild:
Jahr | Beschäftigte | Firmen | |
---|---|---|---|
Frauen | Männer | ||
1895 | 119 | 8 | |
1899 | 41 | 38 | 4 |
1902 | 78 | 26 | |
1906 | 43 | 24 | 4 |
1910 | 36 | 23 | 4 |
Herstellung von Qualitätszigarren verhinderte vorzeitiges Aus
Während des 1.Weltkrieges und der Wirtschaftskrise in den 1920er Jahren verringerte sich die Zahl der Firmen auf zwei. Es verblieben lediglich die Fabriken »Rennau & Co., Nachfolger« und »Rabener & Becker«. Beide Firmen waren in der Hauptsache bei der Zigarrenfertigung in Handarbeit verblieben, obwohl die führenden deutschen Unternehmen bereits seit vielen Jahren auch zur Maschinenherstellung übergegangen waren. Vor dem wirtschaftlichen Aus bewahrte sie insbesondere die Tatsache, dass sie vorwiegend teure Qualitätszigarren fertigten, deren Stückpreis damals 20-50 Pfennig betrug.
Nach mehrmaligem Eigentümerwechsel ging die Fa. »Rennau & Co., Nachfolger« am 1.8.1929 in den vollständigen Besitz des Leipziger Konkurrenzunternehmens »Albert Dathmann-Vernhalm & Schmidt« über. Die Belegschaftsstärke stieg noch einmal an und erreichte im Dezember 1930 die Höhe von 67 Mitarbeitern. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu vorübergehenden konjunkturell bedingten Betriebsstillegungen. Am 30.9.1935 schloss das Leipziger Stammhaus dann seinen Frankenhäuser Zweigbetrieb endgültig und verlagerte die Produktion.
Stadtverwaltung kämpfte vehement um Erhaltung der Arbeitsplätze
Zu diesem Zeitpunkt kämpfte auch der noch in Familienbesitz befindliche Betrieb »Rabener & Becker« ums Überleben. Von 4 Mitarbeitern im Jahre 1929, über 15 in 1931, sank deren Zahl auf nur noch 2 im Jahre 1936. Persönliche Schicksalsschläge und der Mangel an Betriebskapital zwangen den Inhaber Max Rabener, die Firma aufzugeben. Das Firmenareal und die Fabrikgebäude wurden an das »Kyffhäuser-Technikum« veräußert und bis 1938 zu einem Studentenwohnheim umgebaut.
Dennoch kämpfte die Stadtverwaltung vehement um die Erhaltung jedes einzelnen Arbeitsplatzes und die durch die Reichsregierung den Firmen zugeteilten Tabak-Verarbeitungskontingente. Ein Brief des Frankenhäuser Bürgermeisters vom 29.2.1936 vermittelt uns ein anschauliches Bild der damaligen Verhältnisse:
An die Überwaungsſtee für Tabak, Bremen.
Die Firma Dathmann, Vernhalm & Smidt in Leipzig hat ihre hier betriebene Zigarrenfabrikfiliale Ende September vergangenen Jahres aufgegeben. Dadur nd 40-50 ausgezeinete Tabakarbeiterinnen brotlos geworden. Ihre anderweite Unterbringung iſt nit mögli geweſen. Na den agemeinen Grundſäen ſoen meines Wiens die Verarbeitungskontingente zur Verfügung der Arbeiter bleiben, wele bisher die Tabake verarbeitet haben. Es fragt nun, ob dieſes Kontingent den hiegen Arbeiterinnen verblieben iſt. Die Stadtverwaltung hat ein ausſerordentlies Interee an der Klärung dieſer Frage, da Bad Frankenhauſen Notſtandsgebiet iſt und in grösſten finanzieen Swierigkeiten befindet, die bereits ſehr erheblie ſtaatlie Zuüe erfordert haben.I bie Sie daher um ret baldige Mitteilung, ob das Verarbeitungskontingent den hiegen Arbeiterinnen verblieben iſt, wie groß es iſt und was von hier aus geehen kann, um das Kontingent den hiegen Arbeiterinnen zur Verfügung zu ſteen. Es wird befürtet, da die Firma Vernhalm, Dathmann & Smidt das Kontingent einfa mit na dem Eisfeld genommen hat, wohin e ihre Filiale wegen der dort gezahlten niedrigeren Löhne verlegt hat. I mu aber ſehen, da meine Leute bei der ausſerordentli groen Zahl von Arbeitsloſen hier wieder in ihrem alten Beruf beäigt werden können, zumal e Qualitätsarbeiter nd und wertvoe Zigarren von 20 bis 40 Pfg. das Stü hergeſtet haben.
Der Bürgermeiſter.
Letztendlich blieben aber alle Bemühungen erfolglos und ein Stück Frankenhäuser Industriegeschichte nahm ein bedauerliches Ende. Geblieben ist allein das stattliche Gebäude der Zigarrenfabrik »Rabener & Becker« in der heutigen Kyffhäuserstraße. In mehreren Bauetappen im ersten Viertel des 20.Jh. erbaut, gehört es heute zu den bedeutendsten Bauten der Frankenhäuser Industriearchitektur. Etwa 1919 wurden die Fabrikräume bezogen. Zuvor hatte die Firma seit ihrer Gründung ihren Sitz in der Kurstraße 10. Die Lage der anderen Fabriken ist nur zum Teil bekannt:
»Friedrich Dietrich« (später Hugo Dietrich) |
Schloßstraße 10 |
»Wilhelm Probst« | Markt, zuletzt Bahnhofstraße 7 |
»Rennau & Co.« | Langestraße, Poststraße 27 |
Ulrich Hahnemann
Literatur- und Quellenangaben:
Stadtarchiv Bad Frankenhausen: Aktenbestand „Handwerk, Handel, Gewerbe“ - Akten-Nr.: 307 und 309.
Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Bestand Ministerium Rudolstadt, Abteilung Inneres, Akten-Nr.: 4835, 4849, 4856, 4895, 5650, 5663 und 5691.