Jüdisches Leben in (Bad) Frankenhausen
Ein geschichtlicher Überblick
Beitrag aus dem Frankenhäuser Wochenblatt 2007
Da das Erscheinen der ersten beiden Artikel zur Geschichte der Juden in Bad Frankenhausen auf reges Interesse gestoßen war, nun eine weitere Abhandlung zu diesem historischen Thema. Im Mittelpunkt steht dieses Mal ein historischer Abriss von der Ersterwähnung von Juden in unserer Stadt bis zum Erlöschen der Gemeinde im Dritten Reich. Erstmals erwähnt werden in Frankenhausen lebende Juden in den Jahren 1346 bis 1349, als sie wie in zahlreichen anderen Orten Thüringens auch, verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden.
Historische Unterlagen im Stadtarchiv, die noch vor 1864 von Pfarrer Friedrich Adolf Dinkler (1799 - 1879) dazu ausgewertet werden konnten, stehen uns heute nicht mehr zur Verfügung bzw. konnten nicht aufgefunden werden. Damit sind wir an dieser Stelle auf die Forschungen früherer Jahre angewiesen. Demnach wurde während der Pestjahre bis 1349 fast die Gesamtheit aller Juden getötet. Ihr Wohnbereich, die Straße hinter der Oberkirche, soll früher den Namen »Judengasse« getragen haben. Danach ist über die Anwesenheit von Juden in Frankenhausen nichts bekannt.
Graf Günther duldete keine Wuchergeschäfte
Erst in den Jahren 1524 - 1536 lebte wieder ein Jude in den Mauern der Stadt, wie Stefan Litt bei seinen Forschungen nachweisen konnte. 1524 nahm Graf Günther XXXIX. von Schwarzburg (reg. 1493 -1531), genannt »der Jüngere«, einen namentlich nicht näher bekannten Juden auf sechs Jahre in seinen Schutz. Er hatte sich sämtlicher Wuchergeschäfte zu enthalten, wurde dafür allerdings in eine Art Dienstverhältnis des Grafen aufgenommen. Seine Aufgabe bestand darin, die Gemahlin Graf Günthers und ihr Hofgesinde mit diversen Waren zu versorgen. Außer ihm scheint es weiter keine Juden in der Stadt gegeben zu haben.
Stefan Litt vermutet, dass es sich bei diesem Mann um einen gewissen Merle oder Michael handelte, der möglicherweise nach 1536 aus der Stadt ausgewiesen wurde. Abgesehen von den Diskussionen zwischen den Einwohnern von Frankenhausen und der gräflichen bzw. fürstlichen Landesregierung, ob den Juden der Handel innerhalb der Stadtmauern zu gestatten sei oder nicht, ist ab diesem Jahr bis in die Zeit der Napoleonischen Befreiungskriege nichts über die Ansiedlung von Juden in der Stadt zu erfahren. Zudem richteten sich die Vorwürfe eines unerlaubten Hausierhandels zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht allein gegen Juden, sondern schlössen auch nicht deutsche Handelsleute mit ein.
Jüdisches Leben hielt erst wieder nach der Völkerschlacht bei Leipzig in die Stadt Einzug. 1813 kam ein gewisser Salomo Schönland in die Stadt. Er stammte aus der Gegend von Posen (heute Poznan, Polen), war der russischen Sprache mächtig und leistete der Stadtverwaltung hilfreiche Diente als Dolmetscher bei Verhandlungen mit den durchziehenden und teilweise verweilenden bzw. im Lazarett in Schloss Rathsfeld untergebrachten russischen Truppen. Dafür wurde ihm vom Stadtrat der Aufenthalt für sich und seine Nachkommen versprochen, später auch der Erwerb des Bürgerrechtes zugesichert und erteilt.
Frankenhausen nach Rudolstadt sehr anziehend für jüdische Familien
Die genauen Schilderungen über die Wiederansiedlung der ersten jüdischen Familie seit langer Zeit verdanken wir den geschichtlichen Interessen von Pfarrer Friedrich Adolf Dinkler, der um 1860 einen der Nachfahren von Salomo Schönland, Hermann Schönland, zum Werdegang seiner Familie befragte und dessen Ausführungen niederschrieb. Der Salomo Schönland gewährte Zuzug bedeutete jedoch keinesfalls, dass sich der Stadtrat und eine große Anzahl von Einwohnern bereit fänden, Juden das Wohnen in der Stadt ohne weiteres zu gestatten. Selbst jüdischen Familien aus dem Dorf Immenrode, das zur Unterherrschaft Frankenhausen des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt gehörte, wurde der permanente Aufenthalt versagt:
Nadem zu Rathauſe vorgekommen daß der israelitie Handelsmann Herz Falenſtein aus Immenrode weler ſeit einiger Zeit hier aufgehalten, und Handel getrieben verehelit, und ſeine Ehefrau hier her gebrat, um hier eine Juden Familie zu begründen. So fand der Stadtrath veranla demſelben auf das Rathaus vorzuladen, und darüber Vortrag zu thun, daß der Stadtrath duraus ihm nit erlauben könne ſeine Ehefrau hier zu behalten indem dieſes Beiſpiel ſeine übrigen Coegen veranlaen würde zu verheyrathen und ihre Weiber hierher zu bringen wodur die Stadt in der Folge mit einer Unzahl Juden Familien überhäu werden würde.
Comparend führt zur Erhörung ſeines Geſues ſeiner Ehefrau do hier den Aufenthalt zu gönnen ae nur möglien Perſua ſoria auf und worauf der Stadtrath aber nit eingehen, und e genehmigen wi, vielmehr demſelben bedeutet, daß er ſeine Ehefrau binnen 14 Tagen aus der Stadt unter der Verwarnung, daß außerdem der Stadtrath ſelbige auf Comparenten Unkoſten ſoles thun werden, hinaffen ſote.
Im Falle des Juden Herz Falkenstein und seiner Ehefrau entschied letztendlich die fürstliche Landesregierung 1839, sein Gesuch um Zuzug negativ zu bescheiden. Frankenhausen als zweitgrößte Stadt nach der Residenz Rudolstadt war aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten für viele Immenröder Juden äußerst anziehend. Einige von ihnen lebten bereits längere Zeit hier und wollten auch bleiben. Als sie ab etwa 1834 um die Erteilung des Bürgerrechtes nachsuchten, lehnten die Stadtväter energisch ab:
An Fürſtlie Landeshauptmanna ahier
Das anderweit von den Juden Wahl u. Cons. Eingereite unterthänl. Supplicat ihrer bürgerlien Steung in hieger Stadt eine feſte und ehrenvoe Sierheit zu geben, und ihre Goesdienſtlie Einritung in einen zu errithenden Locale zu geſtaen iſt dem Geſamt Stadtrathe zur Begutatung vorgelegt worden, und derſelbe hat dadur in ſeinen Anten, wele er auf das erſte Supplicat in ſeinen untern 12 ten April d. J. erſtaeten gehorſamsten Berite bereits angeſproen hat, nit geändert, und biet gehorſamſt es bey der auf das erſte Supplicat ausgeſproenen gndl. Reſolution um ſo mehr zu belaen, da wir außer den Sönlands Familie von keiner andern Juden Familie etwas wien, denn ae übrigen nd Smuggel-Guth.
Der Sönlandt hat das Ret hier wohnen zu dürfen dur im Kriege der Stadt geleiſtete redlie Dienſte erworben und nur dieſe Familie kann der Stadtrath hier fundiert anerkennen. Sonſt war aen inländien Juden nur erlaubt von Zeit zu Zeit hier haueren zu gehen, und das war gut. Späterhin ſute Hr. Wahl hier einzumuggeln, und es gelang ihm unter den ſteten Widerſprüen des Stadtraths, die Vergünſtigung zu erhalten hier einen offenen Laden zu halten. Späterhin wote er heyrathen und ſeine Frau hierher nehmen, der Stadtrath wiederſpra, und ſeine Frau dure nit hier wohnen, ſondern wohnte eine geraume Zeit getrennt von ihren Mann in Sondershauſen, ſpäter muggelte er au ſeine Frau hier her.
In ihrer Swangera wurde Wahl bedeutet, ſeine Ehefrau na Sondershauſen zu befördern, u. dort ſelbſt dieſelbe nieder kommen zu laen, damit ſeine Nakommen keine Eingeburtsrete erhielten, er entuldigte damit ſeine Frau wäre nit ohne Gefahr zu transportiren, verſpra von Fſtl. Regierung zu Sondershauſen eine Beeinigung bey zu bringen, da ſeiner Frau Niederkun der Stadt Frankenhauſen nit zur Conſequenz gezogen werden ſoe, brate aber ſole nit bey, und wurde bey einer anderweithen Swangera ſeiner Frau, wo er anderweit bedeutet wurde, dieſelbe na Sondershauſen zu affen, ſo anmaßend, u. ſtete ſeine Sae, auf unſere Vorſteung bey fſtl. Landeshauotmanna ſo plaubel vor, da e heute no hier iſt, u. die Stadt von Zeit zu Zeit mit dem Saamen Israel, zu deren Verdrue vermehret.
Erwieſen iſt es, da wenn dem Juden ein Fingerbreit eingeräumt wird, er na u. na die ganze Hand nimmt, und o damit no nit zu frieden geſtet eht, die Wahrheit dieſer Behauptung hat Wahl geliefert, und David, Levi u. Falk, wele au hier wieder den Wien des Stadtraths eingewärzt haben, werden ſeinen iustren Beyſpiele folgen, wenn nit mehr Strenge gehandhabt wird. Es iſt keine Wohlthat für Frankenhauſen, wenn e eine Judenſtadt wird, und dem vorzügliſten bürgerl. Verkehr an zieht, dies nd unſere Anten immer geweſen, und werden es au bleiben.
Das jezt unbedeutend einende Geſu ein Local zu haben, wo e ihren Goesdienſt ausüben können, wird ſpäter hier das Erbauen eines Juden Tempels mit führen, an den au der Bau einer Juden Sule anließen wird. Dur Einriten eines Juden Tempels werden mehrere ſo wohl fremde als einheimie Juden, gute u. lete hier ein kehren, wele der Stadt keinen Vortheil, wohl aber viel Saden bringen können, u. wenn au die Duldung der Juden in neuen Zeiten mehr gegen den frühern Dru genommen hat, ſo iſt der Haß u. ihre Haltung gegen den Chriſten no nit ſo weit abgelegt, da ihnen iezt on gleie Bürgerrete mit den Chriſten eingeräumt werden könnten. Es wird zwar dem Anein na eine beere Zeit für die Juden, wenn e dem Grundſae, la uns beer werden, ſo wird's beer ſeyn' eingedenk nd, ereinen, biezo iſt aber no nit der Fa eingetreten, weshalb ihnen au nit unbedingt das Wort zu reden iſt u. wir deshalb bey unſerer frühern Ant beharren, u. unter Remiß.
Des unterth. Orig. Suppl. Unſern uldigen Reſpet verern.
Frankenhauſen, den 16. Auguſt 1834, (Bürgermeiſter)…
Diese ablehnende Haltung behielten Bürgermeister und Stadtrat bei und scheuten auch keine aufwendigen Prozesse, um den Zuzug einzelner jüdischer Personen oder ganzer Familien zu verhindern.
Jüdischer Kaufmann bot der städtischen Armenkasse 500 Taler
Das geschah auch im Falle des Marcus David aus Immenrode, der eine Tochter von Salomo Schönland, Henriette, zu heiraten beabsichtigte und danach in Frankenhausen das Bürgerrecht erwerben wollte. Ihm wurde nach mehrjährigem Prozess 1839 und 1843 beschieden, nicht als Bürger aufgenommen zu werden. Innerhalb von vier Wochen sollte er die Stadt mit seiner gesamten Familie verlassen haben. Die in Frankenhausen lebenden jüdischen Familien gaben jedoch nicht auf. Der Kaufmann Callmann Wahl erbot sich, sollte ihm das Bürgerrecht zu teil werden, 200 Taler in die städtische Armenkasse zu zahlen. Als es darüber in der Stadtratsitzung vom 14. September 1838 zur Abstimmung kommen sollte, verließ ein Mitglied des Stadtrates die Sitzung. Nach längerer Beratung und dem Beschluss, von C. Wahl die Summe von 500 Talern für die Armenkasse zu verlangen, stimmte der »verwaltende« Teil des Stadtrates zu.
Erst ein Jahr später, am 13. September 1839 wurde die Einverständniserklärung von Callman Wahl mit dem Beschluss verlesen. Nun verwarf das Landratsamt den Beschluss, weil ein Jahr vergangen war, der Stadtrat von damals nicht der gleiche sei und der beratende Ausschuss damals keine Abstimmung vollzogen habe.
Also begann das Ganze von vorn - der verwaltende Stadtrat stimmte nach neuerlicher Beratung zu, der beratende Ausschuss jedoch lehnte ab. Er befürchtete wiederum, dass nun alle jüdischen Familien, die zum Teil schon viele Jahre in der Stadt lebten, den Erwerb des Bürgerrechtes anstreben würden.
Genau hier ergab sich nun eine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt gewährte auch Juden, die sich längere Zeit in einem Ort aufgehalten hatten, die Heimatrechte. Den Frankenhäuser Stadtvätern war diese Neuerung bekannt und nur deshalb wollten sie den jetzt in Frankenhausen lebenden Juden die Bürgerrechte zugestehen:
...bedarf es um den Wahl heimi für die Stadt Franenhauſen zu maen, des Bürgerrets gar nit, dieſes Verhältnis giebt ihm und ſeiner Familie on das Landesherrlie Geſe, und ſein vieliähriger, weit über die geſelie Zahl der Jahre, um einheimi zu werden, belaufender hieger Aufenthalt,
Glei Bewandnis hintli des Heimi geworden ſeyn hat es mit den Gebrüdern David und dem Juden Levi, und au dieſe nd dur längern Aufenthalt in der hiegen Stadt, als es des gnädiglie Mandat erfordert hier heimi geworden, und können nun nit fügli aus der Stadt verwieſen werden.
Daß dieſe Juden hier heimi geworden nd, iſt nit unſere Suld, wir haben aes aufgebothen, um nit mehr Juden als Salomo Sönlanden, welen in Kriegs Jahren, wegen der Stadt geleiſteten nülien Dienſten das Bürgerret verſproen worden, hier zu haben, aein aen unſern vielen unterthänigen Supplicata weitläufige gehorſamste Berite, den Juden hier den Aufenthalt nit zu verſtaen, und nur den Hausir Handel von Zeit zu Zeit zu erlauben, blieben unerhört, und wir waren gezwungen, dieſelben wider unſern Wien hier zu behalten, und nur auf dieſe Weiſe wurden e hier heimi, und dur die gnädl. Verordnung dur ihren vieliährl. Aufenthalt, Heymaths Rete auf die Stadt Franenhauſen, wele e nie würden verlangt haben, wenn unſere vielfaen Vorſteungen berütiget worden wären.
Dieſe na der gnädl. Verordnung erworbenen Heymathsrete, können, wenn das Geſe und das dadur erworbene Ret nit verlet werden ſo, den oben benannten Juden nit genommen werden.
Wenn dieſes nun der Fa da der riſtlie Kauf- und Handelsmann, den Juden nit von hier entfernen kann, und dieſen neben dulden muß, ſo kann nits darauf ankommen, ob er dieſen ſeinen Handel als Forenſe oder als Bürger beſtreitet, denn als lezter bekommt er hintli ſeines Handels eben nit mehr Rete, als er als Forenſe hae, und darf keinen Innungs Verwandten ſeine Innungs Rete kränen. und thut er dies, ſo unterliegt er der geſelien Strafe.
Mit diversen Petitionen an den Landesherrn
Es sollten allerdings noch einige Jahre vergehen, bis urplötzlich und ohne das es zuvor nochmals erkennbare, größere Beratungen gegeben hätte, die in Frankenhausen lebenden Juden ins Bürgerbuch eingetragen wurden, so am 08.11. 1845 Abraham Rosenstern, am 19.05. 1847 Callmann Wahl, C. Levi und Marcus (hier Marius geschrieben) David.
Der Bürgerrechtserteilung folgten über mehrere Jahre weitere Gesuche, den jüdischen Kultus frei und ungehindert betreiben zu dürfen. Mit ihrer Bitte um Gewährung eines würdigen Ortes, an dem sie ihre Gottesdienste ungestört abhalten könnten, wandten sie sich zwischen 1834 und 1836 in mehreren Petitionen an den Schwarzburgischen Landesherrn:
Die Nakommen Ißraels glauben, glei den Bekennern Jeſus, an einen einigen Go, als den amätigen und weiſen Söpfer, Erhalter und Regierer der Welt und es iſt au ſo wohl für ihren Geiſt, als für ihr Herz, Bedürfnis, denſelben in gemeinalier Verſammlung zu verehren und ihre Gebete zu ihm emporſteigen zu laßen.
Seit geraumer Zeit leben indeßen in hieger Stadt mehrere jüdie Familien, die die Gelegenheit zu einer gemeinalien Goesverehrung gänzli entbehren und die, woen e die diesfalgen Bedürfnie ihres Geiſtes und Herzens überhaupt, beſonders aber bey außerordentlien Gelegenheiten und merkwürdigen Feſttagen befriedigen, ſole mit Zeit und Koſten Aufwand an entfernten Orten zu ſuen genöthiget nd.
Mag es ſeyn, daß ein jeder au im häußlien Kreiße ſeinen Go dienen und ſein Gebet an ihn riten kann, ſo hat do die gemeinalie Goesverehrung beſondere Vorzüge und wir dürfen uns ſta eines diesfalgen weitläufigen Beweißes auf die in der riſtlien Kire ſelbſt ſta findenden Einritungen beziehen.
Sämtli hier lebende jüdie Familien hegen daher den ſehnliſten Wun, ein Local zu einer gemeinalien Goesverehrung miethen und einriten zu dürfen und haben bereits mit einen nit unbeträtlien Koſtenaufwand, die dahin abzweenden Einritungen getroffen.
Der Stadtrat wollte einem solchen Ansinnen durchaus nie entgegen kommen, meinte er doch,
daß wenn ein Juden-Tempel, eine Judenule, ein Rabbiner ahier eingeritet und reſp. angeſtet würden, ſodann no mane Juden Familien hier eindrängen und mitunter der Stadt zur Laſt faen werden.
Jetzt verwundert nicht mehr, was der oben befragte Herrmann Schönland über die ersten Gottesdienste zu berichten wusste:
Die erſten goesdienſtlien Verſammlungen wurden zuerſt in veriedenen Stuben der Israeliten abgehalten. Dann rieb ein Thora-Sreiber Reißner aus Galizien eine Thora auf Pergamentroen (Wert 220 Thlr.). Ohngefähr im Jahre 1830 wurde bei dem Horndreher Nicolai Smiedegae (heute Erfurter Straße) die hintere na dem Garten führende Stube zum öffentlien Goesdienſte ... eingeritet. Alsdann bei H. Weber, Borngae (jet Bornſtraße) und nun wird nadem no 2 Thoras gekau worden nd, in der früher Heeren. jet dem Ökonomen Fier gehörenden Behauſung im oberen Stoe auf dem Saale abgehalten (Borngasse, jetzt Bornstraße, frühere Konsumverkaufsstelle.)
Die sich vergrößernde Kultusgemeinde konnte und wollte sich nicht mit dem Vorschlag wie im Bericht der Fürstlich-Schwarzburgischen Landeshauptmannschaft vom 9. Mai 1834 enthalten, zufrieden geben:
Übrigens können ja die hiegen Juden, wenn e an ihren Hauptfeſten einen Judentempel beſuen woen, nun in das nahe Sondershauſen begeben, wo ein ſoler Tempel eingeritet worden iſt.
Daher sorgte man dafür, dass im Ort einige Kultusbeamte und Rabbiner wirken konnten, deren Namen sich Herrmann Schönland erinnerte:
Vor dem großen Brande (15. Februar 1831) brate Herr C. Wahl jr. von der Leipziger Mee einen jungen rabbinien Gelehrten namens David Freiſtadt aus Lia bei Poſen ... mit hierher, derſelbe verſah den Kultus bis na dem großen Brande und ging von hier na Bleierode, ... Später ein gewier Gumann aus Kempen, war 4 Jahre hier. Roſendahl 1 Jahr und ſeit ungefähr 48 Jahren vereht Herr Sönland den Kultus-Dienſt in hieger Kultusgemeinde. Als Rabbiner fungierte Oberlehrer Profeor Heidenheim aus Sondershauſen, Rabbiner Dr. Auerba, Nordhauſen, Rabbiner Dr. Leindörfer, Nordhauſen, dieſelben haen Sulen zu inſpizieren, Konfirmationen und Copulationen zu beſorgen, überhaupt über Rituees und Ceremoniees zu enteiden.
Konkretes über die Bemühungen der Frankenhäuser jüdischen Gemeinde, Rabbiner Heidenheim für die Betreuung des Frankenhäuser Tempels zu gewinnen, erfahren wir aus einem Antrag vom 28. November 1852 an
Ein Wohllöblies Fürſtl. Landrats Amt Frankenhauſen...
Es spiegelt sich darin das wachsende Bedürfnis nach einer eigenen »wohlgeordneten Religionsschule«, zusätzlich zu dem Unterricht in der städtischen Schule, wider. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich offensichtlich die Situation der Gemeinde dahingehend gestaltet, dass sie sich einen Rabbiner leisten konnte. Schon Jahre zuvor hatte man ins Auge gefasst, den Rabbiner Heidenheim aus Sondershausen zu engagieren, damals aber noch davon Abstand genommen, weil ihre Kinder noch nicht im schulfähigen Alter waren. Außerdem führte man wirtschaftliche Probleme dafür an. Nunmehr richteten Herr C. Wahl, Vorsteher, L. Levy, Beisitzer, Moritz Wahl, Schriftführer, an vorstehend genanntes Amt »das ergebenſte Erſuen«, die Anstellung des Rabbiner Heidenheim nicht zu verweigern. Das Einverständnis Rabbiner Heidenheims liegt diesem Vorgang handschriftlich bei:
Auf Verlangen erkläre i hiermit dem löblien Vorſtande der israelitien Gemeinde zu Frankenhauſen, daß i bereit bin, die rabbinien ... Geäe, der dortigen Gemeinde in geeigneter Weiſe mit zu übernehmen, Sondershauſen, den 24. October 1852, Heidenheim, Rabbiner hieger Stadt und Oberlehrer der fürſtlien Realule
Staatsbürgerliche Rechte erst durch Abänderung des Grundgesetzes
Um letztendlich ihre israelitische Gemeinde als »religiöſe Verbrüderung« zu stärken und zu festigen, reichten ihre Vertreter in den Jahren 1852 - 1863 mehrfach Gesuche zu von der israelitischen Gemeinde entworfenen »Statuten zur Bildung einer Cultusgemeinde« zur Genehmigung durch die Fürstliche Regierung ein.
Im Februar 1864 richtete die israelitische Gemeinde zu Frankenhausen ein Gesuch an den Landtag und erbat die Abänderung des Grundgesetzes dahingehend, dass auch den Juden die staatsbürgerlichen Rechte zuerkannt werden mögen. Die Petition, die von sechs Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, einschließlich der Witwe von Salomo Schönland, unterzeichnet wurde, nahm der Landtag an und ließ sie durch eine Spezialkommission beraten. Diese Spezialkommission, denen die Landtagsabgeordneten Johann Friedrich Wilhelm Theodor Wohlfahrt (1827 - 1873), Johann Daniel Schmiedeknecht (1816 - 1889) und Gustav Adolf Friedrich Picard junior (1826 - 1911) angehörten, empfahl dem Landtag am 11. Mai 1864:
Das Gutaten des Spezialausues über die Petition der israelitien Gemeinde zu Frankenhauſen vom 4. Febr. 1864 wegen Abänderung des Grundgeſees betreffend geht dahin: der Specialausuß empfiehlt dem Landtage folgenden Beluß: der Landtag hält es ſowohl der geitlien Entwilung, als den Grundſäen der Humanität für angemeen, daß eine Gleiſteung der Bekenner des jüdien Glaubens mit denen der riſtlien Religion im Bezug auf den Genuß der ſtaatsbürgerlien Rete erfolge unter Feſtſeung derjenigen Modificationen, wele dur die religiöſe Veriedenheit nothwendig geboten nd; weshalb der Landtag an Fürſtlie Staatsregierung den Antrag ritet: daß dieſelbe auf dem Wege der Geſegebung in dieſer Ritung vorreiten woe.
Vorbehalte gipfelten in Verwüstung des Judenfriedhofs
Die nachfolgende Zuerkennung der staatsbürgerlichen Rechte führte sicherlich zu einer weiteren Normalisierung des Zusammenlebens zwischen den christlichen und jüdischen Einwohnern. Dabei orientierten sich die einzelnen jüdischen Einwohner recht unterschiedlich. Während Ferdinand Schönland sich 1865 als Schriftführer des Arbeiter-, Bildungs- und Unterstützungsvereins nachweisen ließ, war Hermann Schönland 1867 Schriftführer des kaufmännischen Vorschussvereins Frankenhausen, und A. Rosenstern, C. Wahl und weitere fünf jüdische Einwohner unterzeichneten 1871 den Wahlaufruf einer bürgerlichen Partei anlässlich der Reichstagswahl.
Dennoch muss es auch weiterhin Vorbehalte gegeben haben, denn 1884 kam es zu einer Verwüstung des jüdischen Friedhofes. Dessen ungeachtet sprach das Frankenhäuser Intelligenzblatt von einem »gutem Einvernehmen« mit der kleinen jüdischen Gemeinde. Laut einer statistischen Erhebung vom Mai 1913 gab es in Frankenhausen 21, in Immenrode 7 und in Esperstedt 1 Juden. Im gesamten Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt zählte man 78 jüdische Einwohner.
Doch auch später, noch vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, gab es Anfeindungen gegen jüdische Einwohner, wie das Beispiel Prof. Siegmund Huppert zeigt. Über jüdische Mitbürger, von denen es bis in die 1930er Jahre wahrscheinlich mehr gab, als bis heute in Erfahrung gebracht werden konnte, wurde jahrzehntelang nicht gesprochen. Zeitzeugen, die das damalige Geschehen sehr bewusst wahrzunehmen imstande waren, leben nicht mehr. Andere heute noch zu Befragende waren seinerzeit Kinder oder Jugendliche und haben von daher nur unscharfe, dennoch ernstzunehmende Erinnerungen.
Die Befragungen eben dieser Zeitzeugen zu dem seinerzeit stadtbekannten Geschäft, welches oben genannter Salomo Schönland begründet hatte, ergaben, dass man sich sehr wohl noch an die böswilligen Aktionen gegen die letzten Geschäftsinhaber und sogar gegen deren Kinder erinnerte. Zeitzeugen erinnern sich, dass zwar noch mit dem Namen Schönland über der Eingangstür firmiert wurde, die Inhaber jedoch Klippstein hießen, welche eindeutig nicht zugleich Besitzer waren. Denn im Jahre 1936 waren nach Ableben der Witwe Regina Schönland, geb. Rosenbaum, die beiden Töchter Henny, verheiratete Redelmeier, in Sondershausen, und Erna, verheiratete Stern, in Geseke in Westfalen, je zur Hälfte Eigentümer des Geschäftshauses geworden.
Beide Schwestern, Henny, noch in Sondershausen wohnhaft, Erna als Witwe jetzt in Weimar beheimatet, veräußerten am 19. November 1938 Haus, Hofstelle und Nebengebäude in der Erfurter Straße und der Mühlgasse an einen Frankenhäuser Textilkaufmann. Aus den »Biographischen Daten - Juden in Thüringen 1933 – 1945« erfahren wir über die Schönlandtochter Henny, dass sie mit ihrem Mann Max Redelmeier aus Sondershausen und ihren Kindern Ilse Redelmeier und Ruth Saslawski, geb. Redelmeier, nach Palästina auswandern konnte. Ihr letzter Wohnsitz wird 1947 mit Tel Aviv angegeben. Leider konnte zu Erna Stern, geborene Schönland, nichts ermittelt werden. Ein Nachkomme von Ruth Saslawski hatte nach der Wiedervereinigung Deutschlands vor Ort seinen Anspruch auf Entschädigung für zu Unrecht entgangenes Eigentum geltend gemacht. Leider gab er auf Befragen zu wissen, dass er kaum Erinnerungen an das damalige Geschehen und seine Familie habe.
Ingrid Mansel und Dr. Ulrich Hahnemann