Zwei Namen erinnern an die Zeit der Befreiungskriege 1813-1815
Beitrag aus dem Frankenhäuser Wochenblatt 2005
Als das Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt am 8. Juni 1815 Beitritt zum am gleichen Tag gegründeten Deutschen Bund vollzog ging für Frankenhausen eine aufregende und stürmische Periode in seiner langen Geschichte zu Ende. Begonnen hatte diese Periode im Oktober 1806, als die Stadt und das gesamte Fürstentum nach der von den Preußen und Sachsen verlorenen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt von den Truppen Kaiser Napoleons I. Bonaparte besetzt wurde.
Die Zukunft des kleinen Landes mit seinen rund 45.000 Einwohnern und einer Größe von rund 950 km² schien besiegelt. Sachsen, das rechtzeitig nach der verlorenen Schlacht die Seiten gewechselt hatte und nun gegen seinen einstigen Verbündeten Preußen stand, sollte für seinen Übertritt auf die Seite Napoleons auch mit dem Erhalt von Schwarzburg-Rudolstadt belohnt werden. Erst nach mehrmonatigen geschickten und zähen Verhandlungen gelang es dem schwarzburgischen Gesandten, Friedrich Wilhelm Freiherr von Ketelhodt (1766 -1836), am 18. April 1807 in Warschau den Beitritt zum Rheinbund zu erwirken. Damit war die Souveränität des kleinen Fürstentums durch Frankreich, jedoch auch die anderen Rheinbundstaaten wie Bayern oder Württemberg anerkannt worden.
In dieser trügerischen Sicherheit durfte sich das Fürstentum bis zum Frühjahr 1813 wiegen. Nachdem Napoleons Russlandfeldzug gescheitert war, verbündeten sich Russen und Preußen und eröffneten im März 1813 ihren Frühjahrsfeldzug gegen den Kaiser der Franzosen und seine Verbündeten. Während ihrer militärischen Operationen stieß ein berittenes russisches Streifkorps unter General Lanskoy im April 1813 erstmals bis in unser Gebiet vor.
Am 13. April erreichten die ersten Kosaken Frankenhausen. Ihr Aufenthalt währte nur kurz, doch sie kamen nach wenigen Tagen wieder. Allerdings nicht als die zum Teil von der Bevölkerung erhofften Befreier, sondern als kämpfende Truppe auf der Suche nach Lebensmitteln, Pferden und Versorgungsgütern. Am 18. April beschlagnahmten sie allein 60 Pferde, darüber hinaus alles Auffindbare an Tuchen, Leinwand, Stiefeln und Hufeisen in den Werkstätten der Tuchmacher, Leineweber, Schuhmacher und Hufschmiede. Zudem ließen sie sich in den Gasthäusern auf Kosten der Wirte beköstigen, um so schnell wie sie gekommen waren, wieder zu verschwinden. Sie wichen den schwerfällig operierenden Franzosen aus, die am 28. April all das mit Beschlag belegten und nach Eisleben in ihr Versorgungsdepot transportieren ließen, was die Russen den Frankenhäusern nicht abgenommen hatten.
Dass die Handlungsweisen beider Seiten bei den Frankenhäusern keine Begeisterungsstürme auslösten, dürfte verständlich sein. Mit den Franzosen war man seit dem Vertrag von Warschau 1807 verbündet, demnach galten Preußen und Russen offiziell als Feinde. Die Behandlung durch Preußen und Russen sollte sich in den kommenden Monaten nicht ändern, im Gegenteil wurde sie noch drastischer. Daran schuld waren die Frankenhäuser zu einem gewissen Teil selbst, wie sich später zeigen sollte.
Die verbündeten Russen und Preußen ließen sich von ihrem wenig erfolgreichen Frühjahrsfeldzug nicht entmutigen. Nach dem am 4. Juni 1813 mit Napoleon geschlossenen Waffenstillstand verbündeten sie sich im August mit den Österreichern und kurze Zeit darauf auch mit dem Königreich Schweden. So gestärkt gingen sie in den Herbstfeldzug, dessen Höhepunkt die vom 16.-19. Oktober währende Völkerschlacht bei Leipzig war.
Der Niederlage Napoleons folgte der Vorstoß der Verbündeten nach Westen. Bereits am 24. Oktober biwakierten 500 russische Kosaken auf dem Ascher, um sich anschließend in den Häusern der Stadt einzuquartieren. Den Russen folgten 13.000 Schweden der Nordarmee. Anstatt ihre Befreier von der napoleonischen Fremdherrschaft freudig zu begrüßen, forderte die Stadtverwaltung die verbündeten Truppen zum schnellen Abzug und Weitermarsch auf. Dieses Verhalten stieß bei den Verbündeten auf keinerlei Verständnis und Gegenliebe. Sie behandelten Frankenhausen als Feindesland und ließen dies sowohl die Bevölkerung als auch den Stadtrat empfindlich spüren.
Bild: gemeinfrei
Beschwerden der Bevölkerung wurden jedoch erst nach dem Weitermarsch der Truppen laut. Einer der wenigen, die sich trotz der Drangsale nicht beschwerte, war der Sattlermeister und Gastwirt im Gasthaus »Zur Krone«, dem heutigen »Thüringer Hof«, Heinrich Ferdinand Till(e). Im Gegensatz zu den anderen Gastwirten hatte er die einrückenden Kosaken bereitwillig beköstigt und mit Wegzehrung versorgt. Er ist der Einzige, der nach deren Abrücken der Stadtverwaltung keine Entschädigungsforderung vorlegte, sondern seiner Begeisterung über die Befreiung von den Franzosen plastische Geltung verlieh.
Von ihm beauftragt und finanziert entstand der Kosakenstein, der westlich von Frankenhausen auf den südlichen Ausläufern des Kyffhäusergebirges seine Aufstellung fand und noch heute dort zu finden ist. Zum Gedenken an das erste Einrücken der Kosaken in die Stadt, trägt der Stein die folgenden Daten:
Bild: Regionalmuseum
- Südseite: KOSAK...
Dn 13. APR... 1813 ELITE - Westseite: D
- Nordseite: A
- Ostseite: (zerstört)
Vielleicht war hier ein dritter großer Buchstabe angebracht, was spekulativ auf die 3 verbündeten Armeen hinweisen könnte, oder die Anfangsbuchstaben der Vornamen von drei Kosaken D = Dimitrie, A = Alexis und der Fehlende (zerstört).
Darunter den Namen des Auftraggebers »TILL(E)«. Die Schreibweise des Namens ist der Zeit entsprechend nicht einheitlich. In den Kirchenbüchern der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Bad Frankenhausen finden sich sowohl die Schreibweise Till als auch Tille und Tills.
Über sein Leben ist nur Weniges bekannt. Am 30. März 1774 geboren, heiratete er 1798 die Tochter des Seehäuser Kantors in der Kirche in Seehausen. Neben seinem erlernten Beruf Sattler übte er zeitweilig das Gewerbe als Gastwirt aus. Das Jahr seines Todes ist nicht bekannt. Als seine Frau 1832 starb, wurde sie bereits als Witwe bezeichnet. Unbekannt bleibt jedoch leider weiterhin das genaue Datum, an dem der Gedenkstein aufgestellt wurde.
Selbst zum damaligen ramponierten Zustand des Steines, ist er heute nur noch ein Relikt. Die Qualität des hiesigen Sandsteines ist sehr wetteranfällig und der Zahn der Zeit hat ihm außerdem sehr zugesetzt. Immerhin ein Geschichtszeugnis, denn das Ereignis führte 1815 zum Wiener Kongress, wo praktisch eine Neueinteilung Mitteleuropas vorgenommen wurde.
Wie vorab geschildert, hatten an der vom 16. - 19. Oktober 1813 währenden Völkerschlacht bei Leipzig auch schwedische Truppen teilgenommen. Im Gefolge der anschließenden Verfolgung der zurückweichenden napoleonischen Truppen rückten die im Verbande der Nordarmee integrierten Schweden am 25./26. Oktober 1813 in Frankenhausen ein. Zur Nordarmee gehörten neben den schwedischen auch russische und preußische Einheiten. Ihr Oberbefehlshaber war Kronprinz Karl Johan von Schweden (1763 - 1844). Sein Quartier nahm er nach der Überlieferung in einem Haus auf der nördlichen Seite des Marktes, dort wo heute die große Kastanie steht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte der schwedische Kronprinz bereits eine fast beispiellose Karriere hinter sich. 1763 als Jean-Baptiste Bernadotte in Pau (Gascogne) in Frankreich geboren, trat er 1780 in die französische Armee ein. Die Französische Revolution 1789 und ihre Folgen wirkten sich äußerst positiv auf seine weitere militärische wie zivile Laufbahn aus. 1798 wurde er Französischer Botschafter in Wien, 1799 Kriegsminister Frankreichs, 1804 machte ihn Napoleon zum Marschall des französischen Empire.
Entscheidend für seine Zukunft und die seiner Familie war das Jahr 1810. Just in diesem Jahr wählte ihn der schwedische Reichstag zum Kronprinzen. Fortan trug er den Namen »Karl Johan« und wurde vom schwedischen König Karl XIII. adoptiert. Nach dessen Tod 1818 wurde er als »Karl XIV. Johan« zum König von Schweden und zum König von Norwegen gekrönt. 1844 stirbt er in Stockholm. König von Schweden ist heute sein Nachfahre Karl XVI. Gustav.
Die Versorgung der schwedischen Soldaten wie der gesamten Nordarmee scheint nicht optimal gewesen zu sein. Eine Vielzahl der Schweden, Deutschen und Russen war an Ruhr und Typhus erkrankt. Sich dessen bewusst, verlangten der Kronprinz und seine Generäle von der Stadtverwaltung, ein Lazarett einzurichten. Seitens der städtischen Verwaltung wurde das Verlangen nicht unterstützt. Ganz im Gegenteil verlangte man den schnellen Weitermarsch der Truppen. Die von Bürgermeister Johann Gottfried Hauthal (1764 - 1827) auf das schwedische Ansinnen entgegnete Antwort lässt sich wie nachstehend zusammenfassen: Danke das ihr uns von den Franzosen befreit habt, nun seht aber zu, dass ihr weiterkommt.
Bild: Regionalmuseum
Kronprinz Karl Johann Bernadotte war darüber äußerst erbost. Er verließ die Stadt über Bendeleben nach Sondershausen. Allerdings nicht ohne sich bei Fürstin Karoline Luise, der Regentin des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt, zu beschweren. Karoline Luise (1772 - 1854), eine kluge wie energische Frau, hatte sich bereits eindeutig zu den Verbündeten und gegen Napoleon bekannt. Entsprechend ihren Anordnungen hatte Frankenhausen ein Lazarett einzurichten. Als Standort war das Schützenhaus ausgewählt worden, dessen Nachfolgebau heute eher als Lindenpassage bekannt ist.
Damit lag das Lazarett unmittelbar vor der Stadtmauer, jedoch immer noch zu nah, um das Übergreifen ansteckender Krankheiten auf die städtische Bevölkerung zu verhindern. Das erkannte auch die fürstliche Regierung in Rudolstadt. Die Fürstin und ihre Regierung entschieden sich daher, das fürstliche Jagdschloss Rathsfeld als Lazarett zur Verfügung zu stellen. In aller Eile wurde das Schloss aller wertvollen Objekte entledigt und die Prunk- wie Wirtschaftsräume mit notdürftig zusammen gezimmerten Betten versehen.
Heute: Ecke Lindenstraße
Inzwischen hatten die Krankheiten unter den Soldaten wie unter der Zivilbevölkerung ihre Opfer gefordert. Eine genaue Kenntnis der Ereignisse verdanken wir den Schilderungen von Dr. W. A. G. Manniske. Im Auftrag der Fürstin übernahm er Ende Oktober/Anfang November 1813 die Lazarettleitung zunächst in Frankenhausen, später auch auf dem Rathsfeld. Bevor er die Leitung übernahm, hatte er sich um die medizinische Betreuung der Bevölkerung von Esperstedt gekümmert.
Völlig unvorbereitet waren die Esperstedter von den von den Soldaten eingeschleppten Krankheiten angesteckt worden. Dr. Manniske hatte vergeblich versucht, die Epidemie einzudämmen. Entsprechend seinen hier gemachten Erfahrungen, mahnte er die Stadtverwaltung wie auch die fürstliche Regierung zu vorbeugenden Maßnahmen:
Kein Wagen, kein Pferd, kein Fuhrmann vom Krankentransport darf in die Stadt und Dörfer wo mögli gelaen werden.... Müen Swarzburgie Untertanen von hier Kranke transportieren, ſo werden die Wagen bei der Zurükun im Solgraben gereinigt und müen zwei Mal 24 Stunden in der Kälte vor dem Orte ſtehen bleiben. Die Pferde werden wenigſtens im kalten Waer gewemmt, die Fuhrleute aber müen der weiter unten anzugebenden Reinigungsmethoden unterworfen (werden), beſonders möte das kalte, einige Male wiederholte Waen zu empfehlen ſein.
Diese und weitere Ratschläge wurden von den Verantwortlichen nur zum Teil beherzigt. So blieben Erkrankungen der Zivilbevölkerung nicht aus.
Kronprinz Bernadotte zog indessen mit den marschfähigen Truppen weiter nach Sondershausen. Sein vordergründiges Ziel war nicht die weitere Verfolgung der Franzosen, sondern die Wahrnehmung schwedischer Interessen. Er wendete sich bald nach Norden gegen Dänemark. Militärisch erfolgreich zwang er die Dänen im Frieden von Kiel 1814 zur Abtretung von Norwegen, das bis 1905 von seinen Nachfahren regiert wurde.
Bild: Regionalmuseum
Seine erkrankten Soldaten, deren Anzahl auf Grund der Belegung beider Lazarette (Schützenhaus und Schloss Rathsfeld) auf etwa 800 -1000 Mann geschätzt werden kann, ließ er in Frankenhausen zurück. Ruhr und Typhus forderten unter ihnen zahlreiche Todesopfer. Begraben wurden die ersten Toten außerhalb der Stadtmauer zwischen Frauentor (Frauenstraße) und Oberkirche. Die Mehrzahl der Toten waren keineswegs nur Schweden, sondern Deutsche aus Schwedisch-Vorpommern, Russen und Preußen. Dennoch erhielt die kleine Gasse, nachdem um 1820 die ersten Häuschen gebaut wurden, später den Namen »Schwedengasse«. Ausschlaggebend für die Namensgebung war die Tatsache, dass der Oberbefehlshaber der Nordarmee gleichzeitig schwedischer Kronprinz war.
Dr. Ulrich Hahnemann
Bild: Regionalmuseum