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Spaziergang 10

Weg nach der Arnsburg

Die schönen Punkte und Gegenden des Kyffhäusergebirges haben wir nun alle besucht, und es bleibt uns nur noch übrig, dem auf der Südseite des Frankenhäuser Thales liegenden Höhenzuge, der Hainleite, unsre Aufmerksamkeit zu schenken. Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass wir, wenn wir von der Stadt aus uns nach Süden wenden, erst längere Zeit gehen müssen, bevor wir den Schatten des Waldes erreichen, woher es auch kommt, dass der in dieser Beziehung verwöhnte Frankenhäuser die Burgruinen und sonstigen landschaftlich schönen Stellen der Hainleite viel seltener aufsucht als diejenigen des Kyffhäusergebirges.

Ein sehr interessanter und durch Lage und Aussicht bevorzugter Punkt auf dem von uns noch nicht besuchten Gebirge ist die Arnsburg, die südwestlich von Frankenhausen hinter dem Dorfe Seega und oberhalb desselben auf dem Kamme des Hauptzuges der Hainleite liegt. Sie krönt den Bergpfeiler, der auf dem rechten Ufer der »eigentlichen« oder »großen« Wipper« am Anfange des schmalen Durchbruchthales dieses Flusses sich erhebt, während gegenüber die hohe und schroffe Wand des Kohnsteins bis dicht ans linke Ufer heranreicht.

Von allen Spaziergängen in der Umgebung Frankenhausens ist derjenige nach der Arnsburg der sonnigste und wegen des auf eine weite Strecke hin lockeren, sandigen Bodens am wenigsten anlockende, das Ziel entschädigt jedoch für die überstandenen Unannehmlichkeiten reichlich, und wer, wie Du lieber Freund, aus der Ebene kommt, ist eigentlich nicht viel Besseres gewohnt. Deshalb ist es für Dich ganz gut, wenn Du mal wieder an Deine Heimat erinnert wirst, sonst geht es Dir wie den hiesigen Einwohnern, welche die Schönheit der Gegend hier für etwas ganz Selbstverständliches halten und nicht in genügendem Maße zu schätzen und zu genießen verstehen, bis sie andere, weniger von der Natur bevorzugte Gegenden kennen gelernt haben.

Wir gehen durch die Stadt, an der Unterkirche und der Domaine vorbei, nach dem Bahnhofe zu, wenden uns jedoch an der Stelle, wo die eigentliche Bahnhofsstraße beginnt und geradaus weiter führt, und einige Scheunen rechts von ihr stehen, nach dieser Seite und folgen dem Seegaer Wege, welcher vor den Scheunen vorbei und dann in südwestlicher Richtung direkt auf den Berg zuführt. Alle Wege, die ihn schneiden oder sich von ihm abzweigen, lassen wir unbeachtet und wandern weiter, gelangen an den Fuß des Berges und steigen an einem tiefen Wasserrisse, der sich zur Rechten befindet, entlang allmählich in die Höhe, wobei an Stelle des lehmigen Bodens roter Sandstein tritt, der hier und dort grau gestreift erscheint.
Wir kommen an einer Steintreppe vorbei, die für gewöhnlich trocken liegt, aber den Zweck hat, im Frühjahr oder nach heftigen Sommergewittern plötzlich auftretende Wassermassen in die Tiefe abzuleiten, und passieren gleich darauf einen kleinen zur Linken gelegenen Sandsteinbruch, der auch wieder die graurot gestreifte Farbe des Gesteins erkennen lässt.

Immer weiter steigen wir, wobei wir nach rechts einen schönen Blick auf das Thal und den Südhang des Kyffhäusergebirges mit seinen vielen Querthälern haben; nicht minder ist das Kyffhäuserdenkmal deutlich sichtbar. Dem Wege weiter folgend, gelangen wir in die Nähe seiner höchsten Höhe und wenden uns etwas nach links, wobei wir, ziemlich horizontal weiter schreitend, die höchste Kuppe des Berges umgehen und zur Linken liegen lassen. Bald darauf wird das Dorf Seega vor uns unten im Thale sichtbar, der Weg biegt sich etwas nach rechts und führt in einem flachen Bogen allmählich am Berghange abwärts in südwestlicher Richtung auf das Dorf zu, wobei wir möglichst am Rande zu bleiben und den lockeren Sand, der die Füße erhitzt und das Gehen erschwert, zu vermeiden suchen.

Kurz vor dem Dorfe mündet von links in unsern Weg ein chausseeartig ausgebauter Fahrweg ein. Dies ist das Ende der sogenannten Nackenchaussee, welche sich in der Nähe des Kilometersteins 3 von der Seehäuser Chaussee abzweigt und die Hauptverbindungsstraße zwischen Frankenhausen und Seega bildet.

Im Dorfe angelangt, lassen wir die Domaine zur Rechten liegen, überschreiten auf einer Brücke die Wipper und gehen auf der Straße, welche an der Mühle, der Kirche und der Gemeindeschänke vorbeiführt, weiter bis zum Westende des Dorfes, wo die Oberförsterwohnung den Abschluss desselben bildet.

Von hier führt der Weg in südwestlicher Richtung direkt auf den Berg und den Wald zu, welche in kurzer Zeit erreicht werden. Gleich im Anfange des Waldes biegt sich der Weg etwas nach links und steigt an dem aus Muschelkalkfelsen bestehenden Berghange ziemlich steil aufwärts, bis er nach einigen Minuten sich etwas nach rechts wendet, und wir gleich darauf links durch eine Art Thor in das Innere der Ruinen der Arnsburg eintreten.

Wir befinden uns auf einem freien, durch Bäume dicht beschatteten und kühlen Platze mit einfachen, aus Pfählen und Brettern bestehenden Tischen und Bänken, die zum Sitzen einladen. Außer der dicken, durch drei große, spitzbogig gewölbten, thorartige Öffnungen unterbrochenen Mauer an der Nordseite des Platzes, wo wir eintraten, sind nur noch wenige Überreste vorhanden, jedoch bemerken wir am östlichen Ende des Platzes eine in die Tiefe gehende Treppe, welche in den wohl erhaltenen Keller führt, der bei schlechtem Wetter auch als Wirtschaftslokal benutzt wird.

Gehen wir in den Keller hinab und hindurch bis an das Ende desselben, so bemerken wir am Südende des hintersten Raumes einen schönen Sitzplatz außerhalb der Mauer in einer gewölbten Nische. Von hier aus hat man einen prachtvollen Blick auf das dichtbewaldete, tiefe Ilmethal, nach links übersieht man einen Teil des Wipperthales und in ihm die idyllisch gelegene Kapellmühle, die am linken Wipperufer und am Fuße des Kohnsteins liegt, dessen aus schräg gelagerten Kalkbänken bestehende, kahle Wand sich fast senkrecht vor unseren Blicken auftürmt. Es ist ein kleines, in sich abgeschlossenes Bild, wie man es sich landschaftlich schöner kaum denken kann.

Auf der sog. »Aussichtsstelle« oben, draußen auf dem Platze, reicht der Blick weiter, denn außer dem, was wir hier sehen, sind ungefähr nach Osten zu noch die Finne und die Schmücke sowie der Ettersberg bei Weimar sichtbar, ja bei besonders klarer Luft soll man die Berge des Jenaer Saalethales erkennen können.
Wir werden diesen Punkt nachher noch besuchen.

Was die Geschichte der Arnsburg oder Arensburg betrifft, so reicht dieselbe sehr weit in die Vergangenheit zurück. Die Sage bringt die Burg sogar mit Bonifacius in Verbindung, denn im Volksmunde hieß sie die »Bonifaciusburg«, wie denn auch in ihrer Nähe die sog. »Bonifaciuspfennige« gefunden werden, die in viel größerer Menge noch bei der Sachsenburg vorkommen, die wir bei nächster Gelegenheit besuchen wollen. Bonifaciuspfennige ist in der hiesigen Gegend die Volksbezeichnung für die versteinerten Stielglieder von Encrinus liliiformis, eines ausgestorbenen Vertreters der Crinoiden oder Haarsterne, jener eigentümlichen, auf dem Meeresgrunde lebenden Tiere, die man wegen ihrer Gestalt zu den sog. Pflanzentieren rechnet.

Das erste, geschichtlich beglaubigte Auftreten des Geschlechts der Arnsburger fällt in das Jahr 1115, denn nachweislich haben zwei Brüder dieses Namens in der Schlacht am Welfesholze, die in dem angegebenen Jahre stattfand, siegreich gegen den Kaiser mitgefochten.

Im Jahre 1319 kam die Arnsburg an die Grafen von Honstein und 1356 durch Erbvertrag an die Grafen von Schwarzburg, in deren Besitze sie, von einer etwa
fünfzigjährigen Verpfändung abgesehen, geblieben ist. Bei der 1584 vorgenommenen Erbteilung fiel die Burg der Rudolstädter Linie des Hauses Schwarzburg zu.

Während des dreißigjährigen Krieges ist die Arnsburg zerstört, und es sind Steine von ihr zur Herstellung andrer Gebäude benutzt, so im Jahre 1654 zum Bau des Turmes der Unterkirche in Frankenhausen und 1764 zum Wiederaufbau der Domaine in Seega.

Die Zerstörung der Burg wird den Schweden zugeschrieben, welche sie vom Kohnsteine aus mittels sog. »lederner Kanonen« beschossen haben sollen. Überreste von Erdbefestigungen sind heute noch auf dem Kohnsteine sichtbar und führen den Namen »Schwedenschanze«, es ist jedoch die Vermutung wahrscheinlich, dass diese Überbleibsel viel älter sind und ebenso wie die Chattenburg und Ochsenburg Spazg. 4 aus vorchristlicher Zeit stammen, dass also auf dem Kohnsteine eine germanische Wallburg gewesen ist.
Was endlich die Kapellmühle betrifft, die so freundlich aus dem Thale heraufgrüßt, so hat die ihren Namen daher, weil dort früher ein Nonnenkloster, das Kloster »Kapelle« gestanden hat.

Nachdem wir uns zur Genüge ausgeruht und auch mit Speise und Trank gestärkt haben, brechen wir auf, besuchen die Aussichtsstelle, von der vorher die Rede war und kehren auf demselben Wege, auf welchem wir hergekommen sind, wieder nach Frankenhausen zurück, da es keinen kürzeren oder besseren Heimweg giebt.

 

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