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Spaziergang 1

Frankenhausen - Post - Oberes und Unteres Bad - Wippermannstraße - Anlagen - Georgshöhe - Wilhelmhelmsteig - Hexentanzplatz - Hohe Linde - Luisenbank - Waldschlösschen - Galgenberg - Werners Garten – Gottesackerkirche - Anger

Die hier dargestellten Spaziergänge entstammen eines kleinen Büchleins aus dem Jahre 1898: »Die Spaziergänge in der näheren und weiteren Umgebung Frankenhausens - zusammengestellt von L. Grube-Einwald« vom Frankenhäuser Verlag Werneburg.

Diese Wegbeschreibungen sollen dem heutigen Leser veranschaulichen, wie die einzelnen Örtlichkeiten damals benannt waren bzw. welche Eindrücke sie hinterlassen haben. Eventuelle Rückschlüsse hierbei sind dem geneigten Leser selbst überlassen.
Obgleich der Seitenbetreiber zur besseren Lesbarkeit einige Hervorhebungen verwendet hat, eine Wertung dieser Schrift soll dadurch jedoch in keinster Weise vorgenommen werden.

Nachdem Du, mein lieber Freund, endlich Dein schon vor langer Zeit gegebenes Versprechen eingelöst und mich durch Deinen Besuch erfreut hast, ist es nun an mir, Dir die schöne Umgebung unserer Stadt zu zeigen und Dir zu beweisen, dass ich nicht übertrieben habe, wenn ich Dir mündlich und brieflich von den schönen schattigen Spazierwegen in nächster Nähe der Stadt, von der Schönheit und Ausdehnung des über das ganze Kyffhäusergebirge sich erstreckenden Waldes mit seinem Wildreichtum, von der großen Anzahl und Verschiedenartigkeit nahegelegener Aussichtspunkte und dem Zauber unsrer nicht allzu weit entfernten und zumeist auf guten schattigen Waldwegen auch für den weniger rüstigen Fußgänger leicht erreichbaren Burgen so manches liebe Mal etwas vorgeschwärmt habe. Wir wollen darum gleich heute einen Spaziergang machen, der mit Rücksicht darauf, dass Du vielleicht von der gestrigen Reise noch etwas abgespannt, auch nicht an bergiges Gelände gewöhnt bist, von kleiner Ausdehnung sein soll.

Da Du einen Brief bei Dir hast, der mit dem nächsten Zuge abgehen und Deiner Frau Deine glückliche Ankunft ankündigen soll, so gehen wir zunächst nach der Post, einem großen aus roten Backsteinen errichteten Gebäude an der Langenstraße. Nachdem der Brief in den an der Straße befindlichen Einwurf befördert ist, wenden wir uns an der nächsten, ein paar Schritte weiter nach Norden gelegenen, Ecke nach links und haben die Gartenanlagen des sog. »Oberen Bades« erreicht, die sich an der nördlichen Seite der Straße, der »Nappe«, bis zu dem »Kuhringe« erstrecken, der jetzt als Wirtschaftsgarten des Thüringer Hofes benutzt wird. Wir treten durch das südliche Thor des »Oberen Bades« ein und gehen quer durch den Garten hindurch bis zum nördlichen Thore, wobei wir Gelegenheit haben, rechts das Badehaus und die Lesehalle, links die gärtnerischen Anlagen und den Musikpavillon zu betrachten. Nach dem Hinaustreten überschreiten wir den von dem Anger nach der Frauenstraße führenden »Nappefahrweg« und bemerken links das Kinderbad, rechts das Dampfbad und künstliche Mineralwasserbad und geradeaus vor uns, einige Schritte weiter den Eingang zum älteren oder »Unteren Bade«, das in einem Erdfalle, in der Nähe der von altersher ausgebeuteten Soolquelle, angelegt ist.

Du fragst mich, nachdem Dein Blick auch auf den gerade vor uns liegenden Berg gefallen ist, was das für ein merkwürdiges und doch so neu aussehendes Bauwerk auf einer kleinen Terrasse am Abhange des Berges ist, und meinst, es sehe beinahe aus wie ein Lehnstuhl vor einem altägyptischen Tempel, auf dem man bloß noch die sitzende Kolossalstatue des Pharao vermisst. Nun, so ganz unrecht hast Du ja mit Deinem Vergleich nicht, aber was Du da siehst, ist der Erfolg einer nach eigentümlichem Geschmacke erfolgten Restaurierung eines altehrwürdigen Gebäudes, des »Hausmannsturmes«, wie dasselbe hier allgemein vom Volke genannt wird. Dieser Hausmannsturm soll der Überlieferung nach schon im 6. Jahrhundert von den Franken gebaut sein zur Sicherung der unter ihm am Fuße des Berges und auf dem Grunde des Erdfalles befindlichen Salzquelle, die ihnen bei der Teilung Thüringens, welches sie gemeinsam mit den Sachsen erobert hatten, mit zugefallen war.

Aus diesem Grunde wird das Gebäude auch wohl die Frankenburg genannt. Bis vor etwa 50 Jahren war der Hausmannsturm noch bewohnt, diente dem Feuerwächter als Aufenthalt und hatte bis 1860 noch das Aussehen, wie er es in den letzten Jahrhunderten gehabt hatte, und wie es auf einem alten Bilde, das im Sitzungszimmer des Rathauses hängt, für die Nachwelt erhalten ist. In einer überaus stürmischen Februarnacht dieses Jahres stürzte aber das Dach des Turmes ein und seitdem war das Bauwerk eine Ruine, die immer mehr zerfiel, aber trotzdem einen ehrwürdigen und romantischen Eindruck machte, der manchen Künstler und Dilettanten veranlasst hat, die Überreste des alten Gebäudes, sei es mit Bleistift oder Kohle und Kreide, mit Wasser- oder Ölfarben auf Papier oder Leinwand oder noch anderen Stoffen im Bilde festzuhalten. Du wirst daher leicht Gelegenheit haben, sehen zu können, wie der Hausmannsturm vor seiner Restaurierung, die im Jahre 1894 vorgenommen ist, ausgesehen hat, denn es existieren noch viele Bilder aus dieser Zeit.

Nun wollen wir dem Ding da oben den Rücken kehren und unsern Spaziergang fortsetzen. Wir gehen an der Pfännerschaftschneidemühle, die wir rechts liegen lassen, vorbei, wenden uns gleich darauf rechts und gehen zwischen dem Salzsteueramte und einer Schmiede durch. Gleich hinter ersterem bemerken wir rechter Hand einen zweiten Eingang zum unteren Bade und gelangen bald darauf, am Rande eines durch Ulmen beschatteten Platzes im Bogen nach links weiter wandernd nach Überschreitung einer kleinen Brücke das obere Ende der Kurstraße und einen kleinen Wasserlauf, der die sog. »Kunst« im Bade treibt. Wir folgen ihm ein paar Schritte aufwärts, überschreiten abermals, rechts in die Wippermannstraße einbiegend, das Wässerchen und lassen den Barbarossagarten zur Linken liegen.

Die Wippermannstraße führt mit geringer Steigung am Fuße desselben Berges, an dessen Abhang der Hausmannsturm sich erhebt, entlang. Nach wenigen Schritten erreichen wir das rechts angrenzende Jödicke'sche Gartenlokal, und gleich darauf folgt die Gartenwirtschaft Bellevue auf derselben Seite. Noch sind wir nicht am Ende dieses Grundstücks angelangt, da öffnet links Werners Garten seine Pforten und ladet zum Eintreten ein. Du siehst, es ist an Gelegenheit, es sich in freier Luft bequem zu machen und seinem Magen allerlei Genüsse zu bieten, kein Mangel, denn »vier Gartenlokale, innig gesellt, erwarten die durst'ge und hungrige Welt« könnte man parodierend deklamieren.

Du meinst, das wäre doch eigentlich eine Zusammenhäufung gleichartiger Lokale, für die in einer Stadt wie Frankenhausen unmöglich ein Bedürfnis sein könnte; so etwas fände man kaum in einer großen Stadt, höchstens in Berlin oder Hamburg oder ähnlichen Weltstädten. Ja, mein lieber Freund, da geht es Dir gerade so wie mir, aber die Sache hat wirklich ihr Angenehmes, denn Du musst bedenken, dass im Barbarossagarten, in Bellevue und in Werners Garten die Kur- und Sommerkonzerte abgehalten werden, und man braucht da kein Zaunbillet zu nehmen, wenn man das Eintrittsgeld sparen will. Man geht einfach in einen der benachbarten Gärten, wo das Konzert nicht stattfindet, macht es sich dort gemütlich, hört das Konzert an und schimpft, um sich recht nobel zu zeigen, dass man nirgends vor der ewigen Musikmacherei sicher ist. Probatum est, glaube es mir.

Wir wenden uns gleich darauf etwas rechts und treten in die städtischen Anlagen ein, deren vielfach gebogene und sich kreuzende Wege von dichtem Buschwerk begrenzt und von hohen Bäumen beschattet werden. Es ist schade, dass Du erst jetzt im Hochsommer kommen konntest, denn in der Zeit von Ende April bis etwa zum Johannistage hättest Du hier einen Genuss haben können, wie ihn wohl nur wenige Gegenden bieten, und Du ihn sicher noch nicht kennen gelernt hast. In diesem dichten Gebüsch nisten nämlich eine große Anzahl Nachtigallen, so dass man die Anlagen wohl auch das Nachtigallenhölzchen genannt hat, und in der angegebenen Zeit kann man vom Spätnachmittage an abends und nachts bis Tagesanbruch mit einer Unterbrechung von wenigen Stunden ein wahres Wettsingen der Nachtigallen anhören. Von allen Seiten, aus der Nähe und aus der Ferne, dringen bald schmetternde, bald flötende Töne an unser Ohr. Da jetzt diese Zeit längst hinter uns liegt, gehen wir weiter, und zwar, sowohl den rechten wie den linken Seitenweg meidend, ziemlich geradeaus an einer langen Bank, die zur Linken steht und als Zusammenkunftsort der Kindermädchen mit ihren Wagen sehr beliebt ist, vorbei.

Bald darauf erreichen wir bei einer Selterswasserbude, deren Hebe uns freundlich anlächelt, die Chaussee von Frankenhausen nach Kelbra, welche die Anlagen durchschneidet. Wir biegen rechts in dieselbe ein und verfolgen sie aufwärts in nordwestlicher Richtung. Da, wo die Anlagen aufhören, bemerken wir links an einem sanft ansteigenden Berghange einen vorzüglich gehaltenen und an allerlei Zwergobst reichen Garten mit einem hochgelegenen Gartenhäuschen in griechischem Stil, und hinter dem Häuschen terrassenartig ansteigende Parkanlagen. Zur Rechten erhebt sich ziemlich steil ein aus grauem und weißem Gypsgestein bestehender Berg, an dessen Fuße mehrere zur Ablagerung und Aufbewahrung von Bier dienende Felsenkeller in das Innere getrieben sind, die oft weithin durch Hefegeruch ihren Zweck dem Vorbeigehenden verraten, während oben von der Höhe ein kleines Aussichtshäuschen und nicht weit davon eine hohe, mit den schwarzburger Farben blau-weiß geschmückte Flaggenstange herabgrüßen

Dieser Aussichtspunkt ist die Georgshöhe, von der aus man einen schönen Ausblick auf die Stadt und auf das ganze Thal, sowie auf den im Süden begrenzenden und zur Hainleite gehörenden Bergzug hat. Zu der Georgshöhe empor führen zwei Wege. Der eine, kürzere aber steilere, nimmt seinen Anfang einige Schritte rechts von der Chaussee, von dem Fahrwege aus, der hinter den Anlagen entlang bis nach Bellevue verläuft und schlängelt sich am Südabhang in die Höhe. Der zweite hat eine geringe Steigung, ist aber bedeutend länger und deshalb nur denen zu empfehlen, welchen ihr Körperzustand eine etwas größere, wenn auch nur kurze Anstrengung verbietet, oder denen die Ersteigung der Georgshöhe für einen einmaligen Spaziergang genügt. Für solche ist dann der südliche Abstieg eine angenehme Abwechslung, da man durch ihn schnell zu den Anlagen und zur Stadt zurückgelangt.

Der zweite Weg zur Georgshöhe geht rechts von der Chaussee ab. Wir stehen schon an seinem Anfange, wie Dich ein Blick auf jene, an einer eisernen Säule befindlichen Tafel lehrt, der wir schon eine Zeitlang gegenüber gestanden haben. Er führt am Westabhange des Berges entlang, ziemlich parallel mit der Chaussee, ganz allmählich in die Höhe, biegt dann rechts um in ein nach Osten gerichtetes Seitenthal, an dessen südlichem Hange er oberhalb des Judengottesackers erst östlich und dann westlich sanft ansteigt, bis er wieder, um die Bergecke links herumbiegend zum Westabhang hoch oberhalb der Chaussee zurückgelangt und in ziemlich horizontaler Richtung an diesem entlang, von einigen Biegungen abgesehen, südlich verlaufend, direkt auf das Aussichtshäuschen ausmündet.

Steigt man auf die sich noch etwas über die Georgshöhe erhebende Bergkuppe, so sieht man ein ziemlich großes sich nach Nordost und Ost ausdehnendes Plateau vor sich, in das von Südwesten aus ein paar Thäler einschneiden. Dieses ganze Plateau wird als Schlachtberg bezeichnet, weil es der Ort ist, wo am 15. Mai 1525 die berühmte Bauernschlacht stattfand, in welcher das von Thomas Münzer angeführte Bauernheer von den Rittern vollkommen vernichtet wurde. Die steilen Höhen, welche die Chaussee hinter den Anlagen rechts begrenzen, sind weiter nichts als der Westabhang des Schlachtberges; den teilweise noch steiler abfallenden Südabhang desselben haben wir vor Augen gehabt, als wir vor dem »Unteren Bade« standen und den Hausmannsturm betrachteten. Die Wippermannstraße führt am Südfuße des Schlachtberges entlang, und die Georgshöhe liegt genau an der Südwestecke des Berges.

Wir setzen nun unsern Weg auf der Chaussee fort und bemerken da, wo sie links biegt, und Schalls Berggarten endigt, an der linken Seite eine Bank, die ein Schild, dass außerdem noch die Jahreszahlen 1856, 1880 trägt, als »Charlottensruh« kenntlich macht. Diese Bank ist zu Ehren einer Dame, als dieselbe zum 25. Male das Frankenhäuser Bad besuchte, von der Badeverwaltung gestiftet und auch nachher noch manches Jahr von ihrer Patin benutzt worden.

Jetzt tritt aber auch links der Berg bis nahe an die Chaussee heran, und ein Blick belehrt uns, dass er aus demselben weißgrauen Gestein besteht wie die Bergwand zur Rechten, nämlich aus Gyps. Umso auffälliger ist daher ein Unterschied der Hänge zu beiden Seiten, der noch eine strecke weiterhin zu verfolgen ist.

Während nämlich links der Berg mit schönem, dichten, grünen Laubwald geschmückt ist, starren uns rechts kahle, grauweiße Felswände entgegen, an denen wir nur in den unteren Regionen die ersten Erfolge beharrlich fortgesetzter Wiederaufforstungsversuche bemerken. Von dem Gestein, aus welchem die Berge beiderseits bestehen, hat nun das Thal, in welchem die Chaussee aufwärts führt, seinen Namen, wobei allerdings bemerkt werden muss, dass die Bezeichnung des Gesteins, obgleich sie hier in der ganzen Gegend allgemein gebräuchlich ist, wissenschaftlich verkehrt ist. Das Thal, das gleich hinter den Anlagen beginnt und mit mehreren Windungen noch auf eine weite Strecke hin nordwärts ins Gebirge einschneidet, heißt »Kalkthal«, weil hierzulande auch das Gestein, welches anderswo von Fachleuten und Nichtfachleuten Gyps genannt wird, den Namen Kalk führt.

 

Sobald wir um die Biegung herum sind, und die Chaussee nordwestliche Richtung angenommen hat, gerade beim Kilometerstein 1, müssen wir uns entscheiden, welchen Weg wir weiterhin einschlagen wollen. Wir haben die Wahl zwischen dreien, denn rechts geht, wenn wir von dem ins Seitenthal führenden Fahrweg absehen, ein Fußweg bergauf durch eine Kiefern- und Lärchenpflanzung in den Wald, und ebenso biegt links ein langsam ansteigender Spazierweg direkt in den Laubwald ein.
Jener ist der Rudolfsteig, dieser der Wilhelmsteig.

 

Weil wir uns für heute einen kürzeren Spaziergang vorgenommen haben, wählen wir den letzteren und wenden uns links. solltest Du später mal ohne mich spazieren gehen, so rate ich Dir, bevor Du in den Wald einbiegst, die hier am Anfang des Wilhelmsteiges an einem Baume angebrachte Tafel genau anzusehen, die alle die abgekürzten Wegemarken, die wir westlich von der Chaussee antreffen werden, genau erklärt, so dass für einen aufmerksamen Beobachter ein Verirren fast unmöglich ist.

Wir steigen auf dem durch dichten Haselnussbusch beschatteten Wege allmählich in die Höhe und kommen bald darauf an einer Bank vorbei, die links etwas oberhalb des Weges unter hohen Buchen zur Ruhe einladet.
Nachdem wir sodann im Bogen um einen Bergvorsprung herumgegangen sind, befinden wir uns an einer Wegkreuzung, die durch einen Stein mit der Aufschrift »Amindensruh« gekennzeichnet ist.
Der uns entgegengerichtete, von unten heraufkommende Weg hat seinen Anfang an der Chaussee in der Nähe ihrer großen Biegung beim letzten Felsenkeller, und seine Fortsetzung führt nach der in unserem Rücken, hoch oben am Berge hinter Schalls Garten befindlichen »Junotbank« von der man eine schöne Aussicht auf einen Theil des Kalkthals und die gegenüberliegenden Hänge des Schlachtberges samt den in ihn einschneidenden Thälern hat.

Wir behalten unsere Richtung bei und steigen links am Hange weiter, gehen um einen kleinen Bergvorsprung herum an einer Bank vorbei und gelangen nach Zurücklegung eines großen, weit nach links einschneidenden Bogens an eine scharf nach Nordosten vorspringende Bergecke, wo der Berg ziemlich steil nach unten abfällt, und tief unter uns ein Stück der Chaussee sichtbar wird, während gegenüber rechts der »Klocksberg« mit dem Rudolssteig, und links die weiter zurückliegenden »Scheitsköpfe« mit der sie krönenden »Hornungskapelle« oder, wie das Volk sagt, »Reichssparbüchse« herübergrüßen.

An dieser Stelle mündet auch ein etwas höher gelegener Weg ein, der mit dem von uns zurückgelegten zuletzt ziemlich parallel verläuft. Er beginnt bei der schon vorher besprochenen »Junotbank« oberhalb Schalls Garten und führt in nahezu horizontaler Richtung in vielen großen Windungen durch schattigen Hochwald und dichten Nussbusch bis hierher.

Oberhalb der Einmündungsstelle befindet sich die »Jennybank«, welche Gelegenheit bietet, die eben beschriebene Aussicht in Ruhe zu genießen, und sollte es Dich interessieren, so hast Du auch Gelegenheit, in nächster Nähe und mit der Hand erreichbar, die langen schwertförmigen Blätter wilder Schwertlilien zu betrachten.

Wir gehen nun um die Ecke herum und ungefähr in westlicher Richtung weiter und kommen nach kurzer Zeit an eine Gabelung des Weges. Der rechts abgehende, fast horizontal weiterlaufende Weg führt nach »Amindensruh«, einer Ruhebank mit schöner Aussicht, der links sich abzweigende Weg steigt weiter am Berge empor. Wir folgen dem letzteren und gelangen nach verschiedenen größeren und kleineren Biegungen des Weges, die sich ziemlich nahe an der oberen, zur Linken befindlichen Waldgrenze hinziehen, auf einen kleinen freien Platz, an dessen Nordwestrand eine aus rohen Fichtenknüppeln hergestellte Laube sich erhebt, deren Dach sowohl gegen die Sonne wie gegen Regen ausreichenden Schutz gewährt.
Diese Stelle führt den Namen »Hexentanzplatz«.

Du siehst mich staunend an? Ja, lieber Freund, wer den Namen gegeben hat, und aus welchen Gründen er gegeben ist, kann ich Dir nicht verraten, ebenso wenig, ob der betreffende Namengeber sich überhaupt bei der Sache etwas gedacht hat. Der Platz heißt nun mal so, und daran ist nichts zu ändern. Nun wollen wir uns aber ein bisschen hinsetzen und ausruhen, denn ich merke, Du großer Läufer aus der Ebene musst die Bewegung auf unseren Bergen, wenn sie auch nicht hoch sind, erst gewohnt werden. Zugleich verbinden wir das Nützliche mit dem Angenehmen und genießen etwas Aussicht. Mit dem Gesichte nach Südosten gekehrt, sehen wir tief unter uns einen Teil des Kalkthals mit der Chaussee, die grade auf uns zu läuft; rechts wird das Bild durch den Berg begrenzt, an dem wir emporgestiegen sind, während links der Klocksberg mit dem Rudolfsteig und weiterhin der Schlachtberg dasselbe abschließen. Gradeaus vor uns, an der südwestecke des Schlachtberges hebt sich deutlich die Georgshöhe vom Hintergrunde ab. In der Lücke aber, die die beiden von rechts und links zusammenlaufenden Kammlinien in der Mitte bilden, wird ein Teil des Thales, in dem Frankenhausen liegt, sichtbar, und dahinter bildet in der Ferne die schmücke mit ihrem flach gewölbten Rücken einen schönen Abschluss des Bildes.

 

Wir gehen nun in nordwestlicher Richtung weiter, wählen aber wieder den Weg links, denn der zur Rechten führt, wie Du siehst, abwärts. Nicht lange dauert es, da kommen wir an eine scharfe Biegung, und von nun ab führt der Weg mit schwacher Steigung und mit geringen Abweichungen in nordöstlicher Richtung in die Höhe.

Vor der letzten Biegung ab ändert sich aber der Charakter der Umgebung, denn der Wald hört auf, und nur noch einige Rosen- und Schlehenbüsche stehen rechts und links vom Wege an dem mit Gras bewachsenen Berghange, der übrigens im Frühling und Frühsommer dem botanischen Sammler reiche Beute liefert. Links auf der Höhe bemerken wir eine junge Linde mit einer Bank dahinter, rechts wird der Fernblick immer ausgedehnter und großartiger, und nicht minder gewinnt der Einblick in das Thal an Reiz. In dem Augenblicke, wo wir die Höhe gewonnen haben, biegt sich der Weg nach links, und wir treten wieder in dichten Hochwald ein. An dieser Stelle steht rechts, zu jeder Tageszeit in tiefem Schatten, eine Bank, ihr gegenüber zweigt sich aber links ein Weg ab, auf dem wir nach wenigen Schritten aus dem Walde schon von unten bemerkt haben.

Der Baum heißt die »Hohe Linde«, nicht etwa weil er hoch ist, denn dazu ist er noch zu jung, sondern weil er hoch steht, so ist mir wenigstens der Name erklärt worden, womit nicht gesagt sein soll, dass ich diese Bezeichnung recht zutreffend oder gar etwa logisch finde.

Von diesem Punkte aus hat man eine prachtvolle Nah- und Fernsicht. Die erstere ist uns schon bekannt, und brauche ich Dich nur darauf aufmerksam zu machen, dass man von hier aus einen schönen Überblick über den Wilhelmsteig, sowie über alle übrigen Spazierwege hat, welche an demselben Berghange in mannigfachen Windungen den Wald durchschneiden. Von der Stadt sieht man nur wenig, weil dieselbe durch den Berg zur Rechten verdeckt ist, dagegen sieht man den ganzen Zug der das Thal im Süden begrenzenden Vorberge der Hainleite und dahinter den etwas höheren Kamm der Hainleite selbst. Auf der letzteren gewahren wir fern im Westen den Turm des »Possen«, eines Jagdschlosses in der Nähe von Sondershausen. Im Südosten erblickt man am Ende der Hainleite die Ruinen der Sachsenburg, die seit einigen Jahren insoweit restauriert sind, dass man dort Wirtschaftsräume eingerichtet hat zum Schutz und zur Bequemlichkeit der Besucher, ohne aber der Ruine ihre altertümliche Schönheit zu rauben.

Noch weiter östlich, jenseits der Lücke, welche durch den Durchbruch der von hier aus nicht sichtbaren Unstrut gebildet ist, siehst Du die Schmücke, welche als Fortsetzung der Hainleite in südöstlicher Richtung weiterzieht, während die sich links an sie anschließenden Berge zur Finne gehören.

Das nächste Dorf, das nach Südosten zu in einer Vertiefung etwas versteckt liegt, heißt Seehausen. Ein gutes Stück dahinter, links von der Sachsenburg, bemerkst Du das zu Sachsen-Weimar-Eisenach gehörige Oldisleben und links davon das langgestreckte Gebäude der Oldisleber Zuckerfabrik. Hinter Oldisleben liegt die Station Heldrungen an der Sangerhäuser-Erfurter Bahn, und jenseits dieser der Flecken Schloss-Heldrungen. Höher an dem Berge hinauf hinter letztgenannter Ortschaft ist Oberheldrungen sichtbar und Schloss-Beichlingen. Du fragst mich, was das für ein Gebäude im Südwesten ist, da wo eine der Vorhöhen der Hainleite sich allmählich nach Westen abdacht. Das ist ein Vorwerk, welches zu dem Rottleber Gute gehört, das wir von hier aus nicht sehen können.

Drehst Du Dich nun mal um und wendest Dein Gesicht nach Nordwest, so bemerkst Du ein kahles, mit dürftigem Graswuchs bedecktes und allmählich ansteigendes Plateau, hinter welchem der Wald wieder beginnt. Dicht vor demselben aber liegt ein langgestrecktes Gebäude, von dessen höheren Mittelerker eine blau-weiße Fahne lustig im Winde flattert. Das ist Mehlers Waldschlösschen, eine von den Frankenhäusern, den Badegästen und Touristen viel und gern besuchte Berg- und Waldwirthschaft, der wir nachher auch noch unseren Besuch abstatten werden. Vorher wollen wir aber noch etwas die Schönheiten des Waldes genießen, deshalb kehren wir wieder zu dem Wege, den wir heraufgekommen sind, zurück und verfolgen ihn weiter. In vielen Biegungen und Windungen führt er uns durch so dichten Buchenhochwald, dass nur selten ein Sonnenstrahl durch das Laubdach hindurchfallen kann.

Rechts fällt wiederholt der Berg ziemlich steil ab, und Schluchten führen in die Tiefe. Wenn wir dahin niedersteigen wollten, so würden wir auf die Kelbraer Chaussee gelangen. Links, etwas höher als der Weg, wird ab und an in ziemlich geringer Entfernung der Waldrand sichtbar, wenn der Weg weit nach Westen ausbiegt. Einmal passieren wir die Pforte eines Wildgatters, welches seit einigen Jahren angelegt ist, um das Austreten des Wildes, insbesondere der Hirsche, denn solche giebt es im Kyffhäusergebirge noch in ganz ansehnlicher Menge, auf das Feld zu verhindern.

Dabei muss ich jedoch ausdrücklich hervorheben, dass der Kyffhäuserforst nicht etwa eine Art Tiergarten ist, sondern dass die Hirsche und Rehe, wie auch die in geringer Zahl vorhandenen Wildschweine in vollkommen wildem Zustande leben.

Nach 10 bis 15 Minuten langer gemütlicher Wanderung lichtet sich der Wald, und wir bemerken rechts, dicht an einem steilen Berghange, einen Ruheplatz mit herrlicher Aussicht, die »Luisenbank«. Wir sehen scheinbar in drei enge Waldthäler hinein. Grade vor uns östlich grüßt die Hornungskapelle hoch vom Berge herüber, und links davon haben wir den Einblick in ein Thal, an dessen Berghängen sich Wege durch den Wald schlängeln. Ganz links ist ein zweites Thal, an dessen Grenzwänden Spazierwege entlang laufen, und rechts öffnet sich ein drittes aus dessen Tiefe herauf Wagengerassel an unser Ohr dringt. Den Abschluss dieses letzten Thales bietet eine bewaldete Bergwand, an der ziemlich horizontal ein Weg verläuft. Die letzteren beiden Thäler sind in Wirklichkeit weiter nichts als Teile des Kalkthales; das Wagengerassel tönt von der Chaussee herauf, die unserm Auge durch das dichte Laubdach der Bäume verdeckt wird. Die das rechts liegende Thal im Hintergrunde abschließende Wand ist der Nordwesthang des Klocksberges mit einem Teile des Rudolfssteiges.

Bei der Luisenbank biegt sich der Weg in einem großen Bogen nach links, und nachdem wir eine kurze Strecke westlich gegangen sind, gelangen wir auf eine kleine Waldblöße, die links durch das Wildgatter begrenzt ist, in dem sich hier ein großes Thor für Wagen und ein kleines Pförtchen für Fußgänger befindet. Von links her kommt nämlich ein Fahrweg, der diesseits des Gatters in nordöstlicher Richtung weiterführt, während sich gleich bei der Einfahrt ein Fußweg links abzweigt, der anfangs ziemlich nördlich verläuft und dann nordwestlich in die »Weiße Küche« einbiegt, durch welche wir bei späteren Spaziergängen wiederholt durchkommen werden.

Wir durchschreiten das kleine Pförtchen und stehen draußen auf dem Fahrwege zwischen zwei grauweißen, aus Gyps bestehenden und mit kleinen Lärchen bepflanzten Hügeln, die wie ein natürliches Thor den Weg von beiden Seiten begrenzen.
Wir gehen in südlicher Richtung weiter, treten zwischen den Hügeln heraus und sehen vor uns dasselbe kahle Plateau, welches wir vorher bei der großen Linde schon bemerkt haben. Weiterhin reicht unser Blick über das nicht sichtbare Frankenhäuser Thal weg zu den Vorbergen der Hainleite, welche von dem Kamme des Hauptzuges überragt werden. Etwas links, aber tiefer als unser jetziger Standort, liegt die Georgshöhe, und rechts, nur noch wenige Schritte seitwärts, grüßt uns Mehlers Waldschlösschen mit seiner blau-weißen Fahne und seiner schönen Gartenanlage.

Wir betreten das Grundstück, wenden uns nach der nach Südosten gelegenen Hauptfront des Gebäudes und sitzen bald darauf in der schönen, durch eine Glasfensterwand nach Außen abgeschlossenen Vorhalle des Wirtschaftsgebäudes. Hier haben wir Gelegenheit, ganz nach unserem Geschmacke unsern Hunger und Durst zu stillen und gemütlich plaudernd und rauchend zu gleicher Zeit in Muße die herrliche Aussicht zu genießen, die derjenigen, die wir von der »Hohen Linde« aus hatten, sehr ähnlich ist, aber dadurch an Mannigfaltigkeit gewinnt, dass wir auch einen Theil der Stadt im Gesichtsfelde haben.

Nachdem wir uns genügend gelabt und lange genug ausgeruht haben, treten wir den Heimweg an, der bedeutend kürzer ist. Wir benutzen entweder den durch Kastanien besäumten Fahrweg, der zuerst südlich und dann südsüdöstlich abwärts führt, oder schneiden die Biegung des Fahrweges ab und gehen direkt über das mit kurzem Gras bewachsene Plateau in südsüdöstlicher Richtung, bis wir bei einem kleinen Stinkschiefersteinbruche, den wir zur Linken lassen, wieder auf den Fahrweg zurückgelangen. Nachdem wir diesen noch eine kurze Strecke verfolgt haben, biegen wir links in einen Fußweg ein, auf dem wir, immer in südöstlicher Richtung am Hange des Berges entlang allmählich abwärts steigend, nach etwa einer Viertelstunde nach unserem Aufbruche vom Waldschlösschen bis zur Frankenhäuser-Kelbraer Chaussee zurückgelangen. Die Ausmündunggsstelle des Weges befindet sich am unteren Ende der städtischen Anlagen und gerade gegenüber dem westlichen Eingange.

Beim Abwärtssteigen auf diesem Wege haben wir fortwährend einen schönen Überblick über die ganze Stadt sowie über das ganze Thal südöstlich und östlich mit seinen Dörfern und seiner Bergumgrenzung. Nachdem wir etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt haben, bemerken wir links, ein Stück oberhalb desselben, eine kreisrunde, aus roten Sandsteinen aufgemauerte Plattform, die jetzt schon anfängt zu zerfallen und wie geschaffen dazu erscheint, dem Zeichner und dem Maler als Standpunkt zu dienen wenn er von der Stadt und ihrer Umgebung ein schönes Bild entwerfen will. Dies ist die alte Richtstätte, auf der vor etwa 60 Jahren die letzte öffentliche Hinrichtung stattgefunden hat. Von ihr trägt der ganze Berg, an dem wir abwärts gestiegen sind, und der jetzt durch eine einträgliche Kirschbaumpflanzung ein freundliches Aussehen gewonnen hat den Namen Galgenberg.

Übrigens ist es eigentümlich, dass man bei den meisten Städten als schönsten Punkt, um einen Überblick über sie und die nächste Umgebung zu bekommen, fast regelmäßig die frühere Richtstätte herausfinden wird, und vielleicht ist auch schon manchem Andern der Zweifel aufgestiegen, ob es eine Art Gnade oder raffinierte Grausamkeit war, dem Armensünder in den letzten Minuten vor seinem Tode noch einmal seine Heimat in ihrer ganzen Schönheit vor Augen zu führen.

Von Werners Garten aus gelangen wir, der Chaussee abwärts folgend, nach kurzer Zeit bis zum Eingang der Stadt. Wir gehen über eine Brücke und wenden uns links, lassen die Gottesackerkirche und den alten Kirchhof zur Rechten liegen und erreichen bald darauf einen freien, durch Schmuckanlagen verschönerten Platz, wie ihn manche Großstadt nicht schöner besitzt. Das ist der Anger. Von den daran liegenden Häusern sind bemerkenswert das städtische Realprogymnasium an der Westseite, der Gasthof zum Mohren an der Nordseite, die Apotheke und der »Thüringer Hof (1/3)« an der Ostseite.
Die Apotheke fällt besonders auf durch ihren Baustil, der sie als eins der wenigen alten Häuser Frankenhansens kenntlich macht.

Endlich aber mache ich Dich noch auf ein Haus aufmerksam. Es ist das erste zur rechten Hand, wenn wir von oben, d. h. von Westen her, nach dem Anger zu gehen. Es liegt dem Südgiebel des Realprogymnasiums schräg gegenüber und ist jetzt durch eine Tafel über der Hausthür kenntlich gemacht. In diesem Hause ist nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach Thomas Münzer, der Führer des Bauernheeres, der bis dahin Pfarrer gewesen war, gefangen genommen, nachdem er in ganz kläglicher Weise geflohen war und sich, als altes Weib verkleidet, hier ins Bett versteckt hatte.

Nun wollen wir nach Hause gehen und uns überlegen, was für einen Spaziergang wir morgen machen.

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