Dieses Kapitel führt uns in die Mitte des 19.Jahrhunderts, der Zeit der beginnenden Industrialisierung in Frankenhausen und seiner Umgebung. Neben der zeitgleich entstandenen Tabakwarenindustrie war es gerade die Rübenzuckerindustrie, die in unserem Raum zum Motor der industriellen Umgestaltung der wirtschaftlichen Verhältnisse wurde. Dieser Wirtschaftszweig war eng mit dem Wirken der alteingesessenen und weitverzweigten Kaufmannsfamilie Hornung verbunden. Ihre ausgedehnten Handelsbeziehungen hatten sie mit der umfangreichen Rübenzuckerfabrikation in der preußischen Provinz Sachsen bekannt gemacht.
Zucker: Deutschlands Exportartikel Nr.1 zum Ende des 19. Jh.
Im damaligen Regierungsbezirk Magdeburg standen 48 der insgesamt 145 im Jahre 1840 registrierten deutschen Zuckerfabriken. Von der Magdeburger Börde breitete sich dieser Industriezweig in den folgenden Jahren nach Süden aus. Begünstigt durch die fruchtbaren Bodenverhältnisse der Diamantenen und Goldenen Aue entwickelte sich auch in unserem Gebiet der Anbau von Zuckerrüben und in Artern und Oldisleben entstanden die ersten Zuckerfabriken. Ende des Jahrhunderts sollte Zucker zeitweilig sogar Deutschland’s Exportartikel Nr.1 sein und Magdeburg sich zur zentralen internationalen Zuckerbörse entwickeln.
Von diesen Entwicklungen angeregt stellte der Kaufmann Hugo Hornung im Jahre 1850 beim fürstlich Schwarzburg-Rudolstädtischen Landratsamt in Frankenhausen den Antrag, eine Rübenzuckerfabrik errichten zu dürfen. Der Antrag auf die Einleitung eines Genehmigungsverfahren machte sich deshalb erforderlich, da es im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt wie in vielen anderen deutschen Bundesstaaten auch, noch keine Gewerbefreiheit gab. Die zuständigen Behörden entschieden von Fall zu Fall und es bedurfte des öfteren einer wohlgemeinten Fürsprache, um in den Besitz eines sogenannten „Erlaubnisscheines“ zu gelangen. Zu Fürsprechern einer möglichen Zuckerfabrik in Frankenhausen machten sich das Landratsamt und der Stadtrat.
Nach dem großen Stadtbrand von 1833 und dem danach erfolgten kostspieligen Wiederaufbau der Stadt hatte sich eine enorme Schuldenlast angehäuft, die erst einmal abgetragen sein wollte. Aber auch andere Gründe bewogen im November 1850 den Landrat zu einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber der fürstlichen Landesregierung in Rudolstadt. Ein kleiner Ausschnitt daraus vermittelt uns die Lage der Stadt zu diesem Zeitpunkt:
Im Agemeinen hält es das Fürſtlie Landrathſamt für die in ihrem Nahrungsſtande ſo ſehr herabgekommene Stadt Frankenhauſen für ſehr erſprießli, wenn Etabliements, wie e Herr Hugo Hornung und Genoen zu begründen beabtigen, hier aufkommen, da andere Handelsgeäe wegen der ziemlien Entfernung des hiegen Orts von Hauptſtraßen und Eiſenbahnen und wegen der mangelhaen Verbindung mit ſelbigen dur gute Straßen hier nit mehr gedeihen woen und namentli die Aust nit fern ſein düre, daß au die hier no exiſtierende einzige Wohandlung, die Leuarte, wenn au vor der Hand nit ganz eingeſtet, do ſo eingeritet werden wird, daß der größte Theil der dabei bisher beäigten Arbeiter entbehrt werden kann, indem das Sortieren der Woe nit mehr rentabel ſein ſo.
Son im Verlauf dieſes Sommers und Herbſtes hat der nit nur von Herrn Hornung, ſondern au von dem herralien Domänenpäter für eine in Oldisleben beſtehende Zuerfabrik betriebene Runkelbau großen Einfluß bewieſen, dergeſtalt, daß in hieger Stadt und den nahe gelegenen Dörfern Arbeiter geſut und die Tagelöhne geſtiegen waren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Kaufmann Hornung schon vollendete Tatsachen geschaffen und mit dem Bau der Fabrikanlagen in der Klosterstraße begonnen. Der genaue Standort der Fabrik befand sich auf dem Gelände hinter dem Gebäude der heutigen Superintendentur am Kantor-Bischoff-Platz.
Angst der Frankenhäuser vor technischem Fortschritt
Gegenüber dem Bauvorhaben und besonders seinem Standort im engeren Stadtbereich gab es bei den Anwohnern und Vertretern des öffentlichen Lebens große Vorbehalte und Widerstände. Die Ausstattung der Fabrik mit einem riesigen Schornstein und Dampfmaschinen erregte nicht nur Argwohn, sondern auch regelrechte Angst vor den Neuerungen des technischen Fortschritts machte sich breit. Nur die wenigsten Frankenhäuser kannten diese Techniken aus eigener Anschauung.
Anfangs kam der Stadtrat den Sorgen und Ängsten der Bürger noch nach. So überwachte der für die gesamte Schwarzburg-Rudolstädtische Unterherrschaft Frankenhausen zuständige Baurat Wilhelm Christian Günther Bleichrodt ständig das weitere Bauvorhaben und achtete besonders auf die Ausführung der Brandschutzauflagen. Vor einer Wiederholung der Brandkatastrophe vom Februar 1833 hatten die Frankenhäuser am meisten Angst. Als sich aber das Bauvorhaben in die Länge zu ziehen drohte und die finanziellen Belastungen für den Bauherrn stiegen, griff der Stadtrat energisch durch. Alle Einwände wurden vom Tisch gewischt und selbst die von der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde in Frankenhausen angeprangerte Sonntagsarbeit wurde nun ausdrücklich genehmigt.
Potentiell enorme Steuereinnahmen führten schließlich zur Genehmigung
Am Jahresende 1850 traf die langersehnte Genehmigung zur Betreibung der Fabrik aus der Residenz Rudolstadt ein. Nachdem die Landesregierung festgestellt hatte, dass die Steuereinnahmen aus der Zuckerfabrikation enorm sind und die Erträge aus anderer gewerblicher Produktion um ein vielfaches übersteigen würden, gab sie ihre Einwilligung. Das bürokratische Antragsverfahren fand mit der am 27.12. 1850 erfolgten Ausstellung eines sogenannten Konzessions- oder Erlaubnisscheines durch den Fürsten seinen vorläufigen Abschluß:
Wir Friedri Günther, Fürſt zu Swarzburg, urkunden hiermit, daß Wir dem von dem Kaufmann Hugo Hornung und Compagnie zu Frankenhauſen angebraten unterthänigſten Geſue um Erlaubniß zu Anlegung und Betreibung einer Rübenzuerfabrik zu wifahren Uns gnädigſt entloen haben. Wir geſtaen demna genannten Kaufmann Hornung und deen Compagnons in den in der Stadt Frankenhauſen hierzu beſonders zu erritenden Gebäuden eine Rübenzuerfabrik anlegen, darin Rübenzuer bereiten und mit dem fabricirten dergleien Zuer en gros Handel treiben zu dürfen,....
Weitsichtige und fortschrittliche Geisteshaltung des Kaufmanns Hornung
Für die folgenden Jahrzehnte wurde die Zuckerfabrik zu einem wirtschaftlichen Faktor in der Stadt. Da die jährliche Zuckercampagne vor allem in den Herbst- und Wintermonaten durchgeführt wurde, fanden zahlreiche in dieser Zeit zum Teil saisonbedingt arbeitslose Handwerker und Landarbeiter eine Anstellung. Jedoch achteten die staatlichen und städtischen Behörden auch darauf, dass jugendliche Arbeitskräfte eine Art Ausbildung erhielten. In dieser Hinsicht erwies sich die Einstellung des Kaufmanns Hornung als sehr fortschrittlich. Bereits in der Aufbauphase des Unternehmens schickte er junge Arbeiter in die Fabriken in der Magdeburger Börde, damit sie sich mit den technischen Einrichtungen vertraut machen konnten.
Von Anfang an wurde auf die Qualität des hergestellten Zuckers geachtet. Schriftlich festgehalten wurde dieses im 3. Punkt des Konzessionsscheines:
Er (Hornung [U.H.]) hat bei der Fabrikation des Zuers der Beimiung aer und jeder, der menlien Geſundheit ädlien Ingredienzien zu enthalten und au in dieſer Hint das Auftsret des Fürſtlien Landratsamtes und des Phycus zu Frankenhauſen anzuerkennen.
Mit der Einhaltung der Anordnung und der Untersuchung von Zuckerproben wurde der jeweilige amtierende Amtsarzt betraut.
Rauch-und Geruchsbelästigung sorgte für Beschwerden
Auf die Betreibung der aufgestellten Dampfmaschinen wirkte sich das Vorhandensein der Braunkohlengruben in Esperstedt günstig aus. Um den Transport nach Frankenhausen zu verbessern, wurde die Landstraße nach Esperstedt, damals „Esperstedter - Chaussee“ genannt, ausgebaut.
An die Rauch- und Geruchsbelästigung durch die für die Betreibung der Dampfmaschinen notwendige Verwendung der Braunkohle konnten sich die meisten Frankenhäuser nicht gewöhnen. Immer wieder kam es zu Beschwerden und Stellungnahmen, die sich in all den Jahren des Bestehens der Fabrik im Wortlaut glichen.
Hier ein Beispiel aus dem Jahre 1863:
So hat zum Beiſpiel die hiege Stadt während der Campagne der hier begründeten Fabrik unendli viel zu leiden, denn aus dem hohen Sornſteine fliegt ſtets unendlier Qualm und Ae aus, wele nit nur vor dem Winde aes Wäe tronen verbieten, ſondern au dur ae Rie in die Gebäude dringen, und Möbles ſowie Gardinen, Tapeten uſw. bemuen, ja ſogar den auf den Straßen Wandelnden die Augen vo Unrath führen.
Gleich dahinter das Schiff der Unterkirche
Foto: Regionalmuseum
Bestanden hatte die Frankenhäuser Zuckerfabrik bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Zu ihrem Eingehen trug ihre ungünstige Lage inmitten von Wohngebieten mit bei. Hier sollte der Baurat Bleichrodt mit seiner bereits 1850 geäußerten Meinung rechtbehalten, dass eine Erweiterung und Ausdehnung der Fabrikanlagen im Stadtgebiet in der Zukunft kaum möglich erscheine und eine Anlage auf einem Gelände außerhalb der Stadtmauer besser geeignet gewesen wäre.
Schon 1919 begann man mit dem Abriß der Gebäude, so dass von der einstigen Fabrik im Stadtbild nichts mehr zu sehen ist. Allerdings erinnert heute noch eine Flurbezeichnung im Kyffhäusergebirge an das Wirken der einstigen Familie Hornung - die Hornungshöhe mit der ehemaligen „Hornungskapelle“ (Schutzhütte) oberhalb der Kyffhäuserstraße.
Ulrich Hahnemann
Literatur- und Quellenangaben:
Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt, Bestand Ministerium Rudolstadt, Abteilung Inneres, Akten-Nr.: 4529, 4830 und 4868.
Landesheimatverband Sachsen-Anhalt e.V. (Hrsg.): Geschichte Sachsen-Anhalts, Band II, 1.Auflage, 1993 - Seite 122ff.
Foto: privat